Blindlings
benützt. Der Ort erfreut sich großer Beliebtheit bei Touristen und besitzt unter anderem eine Pony-Reitschule. Ich persönlich mache mir nicht viel aus Pferden, nicht einmal etwas aus Island-Ponys, die hübscher aussehen als die meisten Tiere dieser Gattung. Pferde sind dumm. Ein Tier, das zuläßt, daß jemand auf ihm reitet, muß einfach dumm sein.
Ich lasse mich lieber von einem Land-Rover durchrütteln als von einem so eigensinnigen Vieh, das am liebsten nach Hause traben würde.
Im Winter war Gunnar Arnarsson Lehrer und im Sommer organisierte er Pony-Ausritte. Wirklich vielseitige Leute, diese Isländer. Als wir eintrafen, war nur seine Frau anwesend.
Sigurlin Asgeirsdottir hieß uns willkommen und stieß beim Anblick von Elins Arm in der improvisierten Schlinge einen unterdrückten Schrei aus. In Island ist es schwierig, Ledige von Verheirateten zu unterscheiden, da die Frau ihren Namen nicht ändert, wenn sie heiratet. Überhaupt sind Namen eine einzige Fallgrube, in die Fremde mit lautem Plumps hineinfallen. Der Nachname verrät lediglich, wer der Vater ist. Sigurlin war die Tochter von Asgeir und Gunnar der Sohn von Arnar. Falls nun Gunnar wieder einen Sohn bekam und sich entschloß, den Jungen nach dessen Großvater zu taufen, so würde er Arnar Gunnarsson heißen. Alles sehr kompliziert und zugleich der Grund, weshalb das isländische Telefonbuch die Vornamen in alphabetischer Reihenfolge aufführt. Elin Ragnarsdottir war unter ›E‹ eingetragen.
Gunnar hatte nicht schlecht für sich gesorgt. Sigurlin gehörte zu diesen großen, langbeinigen, schlanken skandinavischen Typen, die in Hollywood Furore machen, auch wenn sie über keinerlei schauspielerische Fähigkeiten verfügen. Die weitverbreitete Ansicht, daß die Weiblichkeit bei den nordischen Nationen ausschließlich aus solchen hellblonden Göttinnen bestünde, ist indessen ein bedauerlicher Irrglaube. Nach Sigurlins Begrüßung zu urteilen, war sie bereits informiert – jedoch, wie ich hoffte, nicht in allen Details. Jedenfalls wußte sie eine ganze Menge, zumindest genügend, um schon die Hochzeitsglocken läuten zu hören. Es ist merkwürdig, aber sobald ein Mädchen unter der Haube ist, erwacht der Kupplerinneninstinkt in ihr. Dank Kennikin würden die Hochzeitsglocken keineswegs sofort läuten. Die Chance, daß die Totenglocke bimmeln würde, war im Augenblick viel größer. Aber ganz abgesehen von meinem russischen Freund wollte ich mich keineswegs von irgendeiner vollbusigen Blonden mit kupplerischem Funkeln in den Augen zu meinem Glück drängen lassen.
Erleichtert fuhr ich den Land-Rover in Gunnars Garage.
Jetzt, wo er von der Straße weg war, fühlte ich mich wesentlich wohler. Sorgsam versteckte ich meine Waffensammlung und ging ins Haus. Sigurlin kam gerade die Treppe herab. Sie warf mir einen seltsamen Blick zu. »Was ist mit Elins Schulter?«
fragte sie schroff. »Hat sie Ihnen das nicht erzählt?« erkundigte ich mich vorsichtig.
»Sie behauptet, sie sei geklettert und dabei auf einen spitzen Stein gefallen.«
Ich gab einen vage zustimmenden Laut von mir, doch Sigurlin blieb mißtrauisch. Eine Schußwunde ist eigentlich immer leicht als eine solche zu erkennen, selbst von Leuten, die noch nie vorher eine zu Gesicht bekommen haben. Hastig fügte ich hinzu: »Es ist reizend von Ihnen, uns über Nacht hierzubehalten.«
»Nicht der Rede wert«, wehrte sie ab. »Wie wär’s mit einem Kaffee?«
»Danke, gern.« Ich folgte ihr in die Küche. »Kennen Sie Elin schon lange?«
»Seit unserer Kindheit.« Sigurlin ließ eine Handvoll Kaffeebohnen in die Mühle rieseln. »Und Sie?« »Seit drei Jahren.«
Sie füllte einen elektrischen Topf mit Wasser und schob den Stecker in die Fassung. Dann drehte sie sich zu mir um. »Elin sieht sehr müde aus.« »Es war ein bißchen anstrengend im Öbyggdir.« Es hatte wohl nicht sonderlich überzeugend geklungen, denn Sigurlin sagte: »Ich möchte nicht gern, daß ihr etwas zustößt. Diese Wunde…« »Ja?«
»Ist sie wirklich auf einen Stein gefallen?« Hinter diesen schönen Augen verbarg sich ein gesunder Menschenverstand.
»Nein«, gab ich zu.
»Das dachte ich mir«, seufzte sie. »Ich kenne solche Wunden. Bevor ich heiratete, war ich Krankenschwester in Keflavik. Ein amerikanischer Matrose wurde mal ins Krankenhaus gebracht – er hatte sein Gewehr gereinigt, und da war ein Schuß losgegangen. Wessen Gewehr hat Elin gereinigt?«
Ich setzte mich an den Küchentisch. »Es hat da
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