Blindlings
konnte. »Der Schlüssel ist im Handschuhfach.«
Nach dem Frühstück betrachtete ich tiefsinnig das Telefon und überlegte, ob ich Taggart anrufen sollte. Ich hatte ihm eine Menge mitzuteilen. Aber es war wohl besser, abzuwarten, was Jack Case zu sagen hatte. Statt dessen ging ich hinaus und reinigte Fleets Gewehr. Es war wirklich eine ausgezeichnete Waffe. Aus der sinnvollen Vertiefung für den Daumen und dem auch sonst unkonventionellen Kolben schloß ich, daß es sich um eine Maßanfertigung handelte. Wahrscheinlich war Fleet ein Gewehr-Fan. Womit sich die Leute auch beschäftigen, es gibt immer einige, die die Perfektion bis zum äußersten, ja sogar Absurden treiben. Bei Hi-Fi-Geräten zum Beispiel. Mit Waffennarren ist es ähnlich. Sie sind der Ansicht, daß es keine Waffe im Handel gibt, die ihren Ansprüchen genügt. Sie ruhen nicht eher, als bis sie einem Gebilde gleicht, das man am ehesten noch mit einer modernen abstrakten Skulptur vergleichen könnte. Außerdem sind solche Knaben der festen Überzeugung, daß Munitionshersteller keine Ahnung von ihrem Beruf haben. Sie laden ihre Magazine mit sorgfältig laborierten Patronen, deren Schießpulveranteil bis auf ein Zehntel Gramm genau berechnet ist. Es soll sogar vorkommen, daß sie auch noch sehr gut schießen. Ich untersuchte die Munition in der angebrochenen Schachtel und entdeckte tatsächlich Kratzer, die von einem Werkzeug herrühren mußten. Offensichtlich fertigte Fleet seine Patronen selbst, etwas, das ich persönlich nie für notwendig gehalten habe.
Aber bei meinen eigenen Schießübungen kam es auch gar nicht darauf an, auf wer weiß wie viele hundert Meter haargenau zu treffen. Das erklärte auch, weshalb die Schachteln keine Etiketten hatten.
Weshalb hatte Fleet wohl fünfzig Schuß mit sich herumgeschleppt? Er schien ein ausgezeichneter Schütze zu sein, denn er hatte uns mit einem einzigen Druck auf den Abzug gestoppt. Er hatte das Gewehr mit gewöhnlicher Jagdmunition geladen, die vorne abgefeilt war und dafür geschaffen, beim Aufprall volle Wirkung zu erzielen. Die volle Schachtel enthielt fünfundzwanzig mit Stahlmantel versehene Patronen – die übliche Militärmunition. Mir ist es immer widersinnig vorgekommen, daß Kugeln, die man auf Wild abschießt und die dem Zweck dienen, so schnell und barmherzig wie möglich zu töten, dank der Genfer Konvention nicht auf Menschen abgefeuert werden dürfen. Schießen Sie auf jemand mit Jagdmunition, dann werden Sie beschuldigt, gesetzwidrig Dumdum-Geschosse benutzt zu haben. Sie können den Betreffenden ruhig mit Napalm zu Tode rösten und ihn mit einer Tellermine zerfetzen. Aber Sie dürfen ihn nicht mit derselben Kugel erschießen, die Sie benützen würden, um einen Hirsch waidgerecht zu erlegen. Ich blickte auf die Patronen in meiner Hand und wünschte, ich hätte sie mir schon eher genau angesehen. Eines dieser zurechtgedokterten Geschosse hätte im Motor von Kennikins Jeep weit mehr Schaden angerichtet als die Kugel, die ich hineingejagt hatte.
Ich füllte das Magazin des Gewehrs mit verschiedenen Patronen, drei abgefeilten und zwei Stahlmantelgeschossen, immer abwechselnd. Darauf untersuchte ich McCarthys Smith
& Wesson Automatic, ein wesentlich prosaischeres Schießeisen als Fleets tolle Knarre. Dann steckte ich sie in die Tasche, zusammen mit den Reservemagazinen. Das elektronische Gerät ließ ich da, wo es war – unter dem Vordersitz des Land-Rover. Ich wollte es nicht mit zu Jack Case nehmen - aber ich kam auch nicht mit leeren Händen.
Als ich ins Haus zurückkehrte, war Elin wach. Sie schaute mich verschlafen an. »Ich weiß gar nicht, weshalb ich so erledigt bin.«
»Na hör mal«, sagte ich, »du hast einen Schuß abgekriegt, bist zwei Tage lang im Öbyggdir durchgeschüttelt worden und hast kaum geschlafen. Kein Wunder, daß du müde bist. Ich bin auch nicht gerade hellwach.« Elin riß erschreckt die Augen auf und warf einen Blick auf Sigurlin, die Blumen in einer Vase arrangierte. »Sigurlin weiß, daß du keine Sturzverletzung hast.
Ich hab ihr gesagt, daß auf dich geschossen wurde, aber nicht wie und warum – und ich möchte nicht, daß du es ihr sagst.
Sprich mit niemandem darüber, nicht mit Sigurlin und auch mit niemand anderem.« Ich wandte mich an Sigurlin. »Sie werden zum geeigneten Zeitpunkt alles erfahren, aber im Augenblick wäre es einfach zu gefährlich für Sie.« Sigurlin nickte zustimmend.
»Ich glaube, ich werde den ganzen Tag schlafen«,
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