Blindwütig: Roman
ich dir durchaus dankbar, Milo«, sagte Penny.
»Ob Mutter wohl die Frau auf den vier Fotos ist?«, überlegte ich laut.
»Darauf würde ich meine beiden Nieren und einen Lungenflügel wetten«, sagte Penny.
Nachdem wir uns zum Mittagessen an einer Raststätte je einen Cheeseburger besorgt hatten, setzte Penny sich ans Steuer. Während wir weiter nach Süden rollten, sagte ich zu ihr: »Ich weiß nicht recht, wieso wir eigentlich Angst haben, darüber zu sprechen.«
»Das weiß ich auch nicht recht«, sagte Penny.
»Angesichts all der grässlichen Dinge, die wir in den letzten Tagen erlebt und gezwungenermaßen getan haben, kommt mir das vergleichsweise wenig furchteinflößend vor.«
»Trotzdem«, sagte Penny, »macht es mir so viel Angst, davon anzufangen, dass ich fast lieber darüber reden würde, was diese hirnverbrannte Rotarmbande Henry Casas, Tom Landulf und den anderen Opfern angetan hat.«
»Ich weiß, was du meinst. Ich würde fast lieber hundertmal dieses schwachsinnige Gedicht von Waxx lesen, als mich da ranzuwagen.«
»Aber kann es sich denn überhaupt um etwas wirklich Schlimmes handeln? Okay, seit einiger Zeit tut sie allerhand merkwürdige Dinge, aber sie ist trotzdem nur ein Hund.«
»Und was für ein süßer Hund!«, sagte ich.
»Ein bezaubernder Hund!«, ergänzte Penny. »Erinnerst du
dich noch daran, wie wir sie aus dem Tierheim geholt haben? Sie hat sofort unser Herz erobert.«
»Stimmt«, sagte ich. »Es war Liebe auf den ersten Blick.«
Penny wischte sich erst die linke und dann die rechte Handfläche an ihrer Jacke trocken, dann packte sie das Lenkrad fester. »Also gut, auf geht’s!«
Ich schloss die Augen und holte tief Luft. »Auf geht’s.«
»Schatz«, sagte Penny mit einem kurzen Blick nach hinten, »erinnerst du dich noch, wie wir mit Lassie im Kofferraum waren?«
»Das war spannend, mal im Kofferraum zu fahren«, sagte Milo, »aber noch mal will ich das nicht tun.«
»Ich hatte den Arm um Lassie gelegt, um sie ruhig zu halten«, sagte Penny.
»Das war eigentlich nicht nötig, Mom. Sie ist von Natur aus ein total ruhiger Hund.«
»Es geht mir darum, Schatz, dass Lassie sich erst an mich geschmiegt hat, und dann war sie urplötzlich … fort.«
»Tja«, sagte Milo, »es war ganz dunkel da im Kofferraum, also ist sie vielleicht in eine Ecke gekrochen, ohne dass du es gemerkt hast.«
»So eng, wie wir da zusammengepfercht waren, konnte sie nirgendwohin kriechen, Milo.«
»Außerdem«, mischte ich mich ein, »saß sie plötzlich auf dem Rücksitz des Wagens.«
Vorsichtig fragte Milo: »Du hast sie gesehen?«
»Sie hat geknurrt, ich habe mich umgedreht, und da war sie.«
»Bist du sicher, dass das da war, als sie eigentlich im Kofferraum sein sollte, und nicht vorher?«
»Milo«, sagte ich, »du und deine Mutter wart in diesem Augenblick im Kofferraum. Deshalb kann ich mich unmöglich irren.«
»Aha«, sagte Milo.
»Abgesehen davon«, setzte ich ihn weiter unter Druck, »saß sie wenig später auf dem Beifahrersitz, das heißt direkt neben mir.«
»Vielleicht hast du ja gesagt, sie soll zu dir nach vorne kommen.«
In dem strengsten Tonfall, den wir unserem Sohn gegenüber überhaupt verwendeten, sagten Penny und ich gleichzeitig: »Milo!«
»Es ist nicht leicht«, meinte der Junge.
Nach kurzem Schweigen sagte Penny: »Wir hören.«
»Mom, Dad, ich will nicht, dass ihr mich für einen Versager haltet.«
»Das tun wir bestimmt nicht«, beruhigte ich ihn.
»Jetzt vielleicht noch nicht. Aber ich hab ja schon mal was in die Luft gejagt, und jetzt das …«
»Was - das ?«
»Das mit Lassie.«
»Und was wäre das?«
»Na schön, ich sag’s euch«, sagte Milo. »Ihr wisst doch, dass ich an diesem Ding für Zeitreisen gearbeitet habe.«
»Ja«, sagte Penny, »und du kamst zu dem Schluss, dass Zeitreisen unmöglich sind.«
»Da hatte ich die Weste aber schon gemacht.«
»Was für eine Weste?«, fragte Penny.
»Die Zeitweste. Die Zeitweste für Lassie. Ich habe versucht, sie eine Minute in die Zukunft zu schicken.«
»Du hast mit Lassie Experimente angestellt?«, fragte Penny in deutlich missbilligendem Ton.
»Sie arbeitet total gern mit mir, und es konnte ihr wirklich nichts dabei passieren.«
»Und wenn sie von dir versehentlich nicht eine Minute,
sondern eine Milliarde Jahre in die Zukunft geschickt worden wäre und wir sie nie wiedergesehen hätten?«
»Das hätte echt nicht passieren können. Zeitreisen sind nämlich unmöglich.«
»Das
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