Blindwütig: Roman
haben?«
»Ihr seid so was von tot«, sagte er.
»Wenn es an der Zeit ist, Sie umzubringen«, sagte Penny, »dann werde ich keine Spritze dafür nehmen. Das wäre viel zu angenehm für Sie.«
Waxx zögerte, nannte ihr dann jedoch die geeignete Dosis.
Sie kroch zu ihm auf die Ladefläche, band ihm den Gummischlauch um den rechten Arm, damit die Venen stärker hervortraten, und tupfte die vorgesehene Einstichstelle mit Alkohol ab.
Zum ersten Mal ließ Waxx eine Spur von Angst erkennen. »Wo bringt ihr mich hin?«, fragte er.
»Nach Hause«, antwortete ich.
»Bevor ihr etwas tut, das … einen Schritt zu weit geht«, sagte er, »sollten wir zu einer Verständigung kommen.«
»Ach, was Sie angeht, verstehen wir schon genug«, sagte ich. »Und Sie werden uns doch nie verstehen.«
»Aber das ist nicht richtig!«
»Die Welt ist eben ungerecht.«
»Ihr habt zahlreiche Straftaten begangen«, sagte Waxx.
Mein Lachen hatte einen bitteren Ton, der sich gar nicht nach mir anhörte. »Elender Spinner«, sagte ich.
Er wurde rot im Gesicht. »Schmierfink«, erwiderte er.
Penny legte ihn weniger dauerhaft schlafen, als sie es sich wohl gewünscht hätte.
60
Wir verbrachten den ganzen langen Tag damit, südwärts zu fahren. Milo und Lassie saßen auf dem Rücksitz, Penny und ich wechselten uns am Lenkrad ab. Der Hummer war angenehm zu fahren, und wir kamen gut vorwärts.
Waxx blieb auf der Ladefläche des Kofferraums liegen, bis aufs Gesicht von einer Decke verhüllt. Solange man die Ketten nicht sehen konnte, hatte es den Anschein, als würde er ganz freiwillig ein kleines Nickerchen machen.
Wenn wir Hunger bekamen, besorgten wir uns etwas zum Mitnehmen und verzehrten es auf der Weiterfahrt.
Jedes Mal, wenn Waxx so weit zu Bewusstsein kam, um uns mitteilen zu können, wie tot wir bereits waren, verabreichte ihm Penny eine weitere Dosis Betäubungsmittel.
Unter den Gegenständen, die sie aus seinen Taschen gezogen hatte, befand sich ein Schlüsselbund, wahrscheinlich für ein Haus. Unter anderem hing daran auch eine Fernbedienung, die so aussah wie die für das Garagentor unseres ersten Verstecks.
In der Geldbörse fand Penny eine Karte mit dem Code der Alarmanlage seines Hauses und einer Telefonnummer, die man im Falle eines falschen Alarms wählen sollte.
Am interessantesten waren vier Fotografien einer Frau, Porträtaufnahmen. Auf einer war sie in den Vierzigern, zwei andere waren etwa zehn Jahre später aufgenommen, und auf der vierten war sie bestimmt über sechzig Jahre alt.
Es handelte sich um eine gut aussehende, aber nicht hübsch
zu nennende Frau. Zuerst sah ihr Gesicht ziemlich streng aus, aber wenn man sie lange genug betrachtete, erkannte man, dass ihre Züge durchaus sinnlich waren. Der Eindruck von Strenge entstand durch die Art und Weise, wie sie sich präsentierte.
Das Haar war zu einem engen Knoten zusammengezogen, der im Nacken lag. Auf den drei älteren Bildern war es dunkel, auf dem letzten grau.
Auf allen vier Fotos waren die Lippen zusammengepresst, als würde gerade jemand versuchen, der Porträtierten einen Löffel bittere Medizin einzuflößen. In den Mundwinkeln bildeten sich Spannungsfalten. Die Frau schien unfähig zu lächeln.
Ihre weit auseinanderstehenden Augen waren blau, aber nicht warm wie die von Penny, sondern von grauen Streifen durchzogen. Sie starrte in die Kamera, als wäre es ihr zuwider, für Fotografien zu posieren, und ich hatte den Eindruck, dass man in ihrer Gegenwart fast körperlich spüren konnte, wie eisig dieser Blick war.
Schließlich zog Penny noch eine gefaltete Karteikarte aus dem Portemonnaie. Darauf war ein Gedicht getippt, das den Titel »Für Mutter an ihrem 60. Geburtstag« trug.
Während ich fuhr, las Penny den Text mit der Gefühllosigkeit vor, die er verdiente: »Mutter des Lebens, Mutter des Todes, Mutter aller Taten, du raubst mir den Atem … Mutter all unserer Morgen, schenk uns eine Welt ohne Sorgen. Liebe ist eine Illusion von Narren, Weisheit bringt die Macht, um zu beharren. Mutter, führe uns zur Einigkeit, ändere die Welt jetzt und für alle Zeit.«
»Das klingt ja nicht gerade, als hätte man es von einer Glückwunschkarte aus dem Kiosk abgeschrieben«, kommentierte ich.
»Signiert ist es mit ›Dein gehorsamer Sohn Shearman‹«, sagte Penny.
Von hinten stellte Milo fest: »Also, mir ist zwar nicht immer ein gutes Geburtstagsgeschenk für euch eingefallen, aber so einen Mist habt ihr von mir noch nie bekommen.«
»Dafür bin
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