Blindwütig: Roman
Vorstellung, meine schöne, schlanke Penny mit der düsteren, vierschrötigen Gestalt von Shearman Waxx zu verwechseln, so absurd, dass mein Unglaube sich zerstreute. Ich löste mich aus meiner Lähmung.
Im selben Augenblick ahmte mein Herz das hektische Donnern galoppierender Pferde nach. Ich eilte auf die offene Tür zu, zögerte an der Schwelle und überquerte sie dann. Der Flur war leer.
Waxx war auf den rückwärtigen Teil des Hauses zugegangen. Ich folgte dem Flur bis zur Küche, wobei ich mir vorstellte, wie er aus der Schublade neben dem Herd ein scharfes Messer auswählte.
Noch während mich dieses Bild durchzuckte, schämte ich mich wegen meiner Hysterie. Eine derart melodramatische Handlung hätte Shearman Waxx im wirklichen Leben doch sicher ebenso verabscheut, wie er es in der Literatur tat.
Jedenfalls lauerte er weder in der Küche noch im Esszimmer, in das sie überging. Eine der Glastüren zum Garten stand offen, was darauf hinwies, dass er durch sie verschwunden war.
In der Tür stehend, ließ ich den Blick über Terrasse, Swimmingpool und Garten schweifen. Waxx war nirgendwo zu sehen.
Wieder hatte sich jene gespenstische Stille über die Welt gebreitet. Das Wasser im Pool lag so glatt wie eine Glasscheibe da.
Während ich gelesen hatte, waren eisengraue Wolken am Himmel aufgezogen. Auch sie bewegten sich nicht, sondern sahen so flach und reglos aus wie ein Farbanstrich.
Weil wir im sichersten Viertel einer Stadt wohnten, in der es ohnehin nicht viel Kriminalität gab, schlossen wir die Türen
nach draußen tagsüber normalerweise nicht ab. Nun, das musste sich ändern.
Bestürzt, dass Waxx bei uns eingedrungen war, zog ich erst einmal die Glastür zu und verriegelte sie.
Mit einem Mal wurde mir klar, dass der Kritiker womöglich mehr getan hatte, als einfach nur durchs Haus zu gehen. Auch wenn er durch die Hintertür verschwunden war, konnte er woanders hereingekommen sein - und irgendwelchen Schaden angerichtet haben.
Begleitet von Lassie, saß Milo oben in seinem Zimmer und beschäftigte sich mit seinen Forschungen.
Ebenfalls oben saß Penny in ihrem Studio und malte die großäugige, scharf geschnäbelte Eule, die in ihrem neuen Buch eine Schar heldenhafter Mäuse jagte.
Obwohl unsere Hündin nicht gebellt und niemand vor Schmerz oder Schrecken aufgeschrien hatte, erzeugte meine Fantasie das unwahrscheinlichste Szenario, das überhaupt möglich war. Dazu bediente sie sich eines Gruselbilds aus zertrümmerten Köpfen und durchgeschnittenen Kehlen. Schließlich war die moderne Welt voll drastischer Gewalt, und oft waren die Abendnachrichten so verstörend wie ein Slasher-Film.
Zwei Stufen auf einmal nehmend, hastete ich die Treppe hinauf.
7
Die Tür von Milos Zimmer stand offen, und er saß an seinem Schreibtisch, quicklebendig und beschäftigt mit elektronischen Spielereien, mit denen ich weniger anfangen konnte als mit runenbedeckten Steintafeln aus grauer Vorzeit.
Auf dem Tisch lag auch Lassie, um ihr Herrchen bei der Arbeit zu beobachten. Als ich hereinkam, blickte sie auf, worauf Milo verzichtete.
»Hast du ihn gesehen?«, fragte ich.
Milo, der das Multitasking besser beherrschte als ein Cray-Supercomputer, konzentrierte sich weiterhin auf seine Bastelei, fragte jedoch: »Wen denn?«
»Den Mann … einen Kerl mit einer roten Fliege um den Hals. Ist er hier hereingekommen?«
»Du meinst den Mann mit den drei Augen und den vier Nasenlöchern?«, fragte Milo. Offenbar hatte er meine spähenden Seitenblicke im Restaurant deutlicher wahrgenommen, als mir klar gewesen war.
»Ja, den«, bestätigte ich. »Ist er hier gewesen?«
»Nein. Sonst wären wir ausgeflippt.«
»Ruf laut nach mir, wenn du ihn siehst. Ich bin gleich wieder da.«
Die Tür zu Pennys Studio war geschlossen. Ich riss sie auf, stürzte hinein und sah meine Frau an der Staffelei sitzen.
So plastisch war das Bild der schurkischen Eule, dass diese mir aus der Leinwand entgegenzufliegen schien, mit weit aufgerissenem Schnabel und blutgierigen Augen.
Natürlich war Penny der Meinung, ich hätte irgendeinen Blödsinn angestellt, denn noch bevor ich ein Wort sagen konnte, fragte sie: »Hat dich der Wasserkocher angegriffen, oder hast du wieder die Geschirrspülmaschine ausprobiert und die Küche geflutet?«
»Es gibt ein echtes Problem«, sagte ich. »Milo. Komm rasch!«
Sie legte den Pinsel weg und eilte hinter mir her. Als sie sah, wie Milo friedlich an seiner Erfindung bastelte, während sich bei Lassie
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