Blink! - die Macht des Moments
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Kennas Dilemma
Wie wir herausfinden, was Menschen wollen – und wie nicht
Der Popmusiker, der unter dem Namen Kenna auftritt, wuchs als Kind äthiopischer Einwanderer in Virginia Beach auf. Sein Vater
ist Professor für Wirtschaftswissenschaften und studierte in Cambridge, Massachusetts. In seiner Kindheit kam Kenna kaum mit
Musik in Berührung, es gab nur eine abgenudelte Platte von Kenny Rogers, die der Vater bei jeder Gelegenheit auflegte. »Mein
Vater liebte Kenny Rogers, weil er mit seinen Liedern wie ›The Gambler‹ eine Botschaft vermitteln will«, erklärt Kenna. »Es
ging darum, aus allem eine Lektion zu ziehen, und die Lieder von Kenny Rogers handeln von Geld und davon, wie die Welt funktioniert.
Meine Eltern wollten immer, dass ich es einmal besser haben sollte als sie.« Gelegentlich kam Kennas Onkel zu Besuch und brachte
Kenna Schallplatten oder Kassetten mit, zum Beispiel von Michael Jackson. Kenna sah ihn dann an und sagte: »Das verstehe ich
nicht.« Kennas Hobby war damals sein Skateboard. Im Hof baute er eine Rampe auf, fuhr dort den lieben langen Tag mit den Jungs
von gegenüber. Eines Tages zeigte ihm einer seiner Freunde sein Zimmer. An den Wänden hingen Poster von Bands, deren Namen
Kenna nie gehört hatte. Der Junge gab Kenna eine Kassette mit dem Album
The Joshua Tree
der irischen Band U2. »Ich habe die Kassette völlig zerleiert, so oft habe ich sie gehört«, erzählt Kenna. »Ich hatte ja keine
Ahnung, dass Musik auch
so
sein konnte. Ich muss elf oder zwölf gewesen sein, und das war’s für mich. Die Musik hat mir eine völlig neue Welt eröffnet.«
|148| Kenna ist schlank, sehr groß gewachsen und mit seinem rasierten Kopf und seinem Ziegenbärtchen auffallend attraktiv. Er sieht
genauso aus, wie man sich einen Rockstar vorstellt, aber er hat nichts Aufschneiderisches oder Großsprecherisches, wie man
das bei Stars im Musikbusiness oft findet. Er hat etwas ausgesprochen Liebenswürdiges an sich, er ist höflich, aufmerksam
und bescheiden. Er spricht mit einer Ernsthaftigkeit, die eher an einen Promotionsstudenten erinnert als an einen Rockmusiker.
Als Kenna seinen ersten großen Auftritt im Vorprogramm der erfolgreichen Rockband No Doubt hatte, vergaß er entweder, dem
Publikum seinen Namen zu nennen (so erzählt es sein Manager), oder er entschied sich bewusst dagegen (so erzählt er es selbst).
»Wie heißt du?« schrieen die Fans am Ende seines Auftritts. Kenna ist der Typ Mensch, der sich nie so verhält, wie man es
von ihm erwarten würde. Das macht ihn einerseits sehr interessant, andererseits ist dies auch einer der Gründe, warum ihm
der große Durchbruch in der Musikindustrie bislang versagt geblieben ist.
Mit sechzehn oder siebzehn hatte Kenna sich selbst das Klavierspielen beigebracht. Er wollte Singen lernen, also hörte er
Stevie Wonder und Marvin Gaye. Damals nahm er auch an einem Talentwettbewerb teil. Während der Vorrunden hatte noch ein Klavier
auf der Bühne gestanden, bei der eigentlichen Show hatten die Veranstalter es jedoch offenbar vergessen. Also trat Kenna vor
den Vorhang und sang a cappella. Zur selben Zeit begann er, selbst Lieder zu schreiben, und kratzte das Geld zusammen, um
ein Studio zu mieten und eine Demo-CD aufzunehmen. Seine Lieder waren irgendwie anders – nicht unbedingt schräg, aber auf
keinen Fall Mainstream. Es war schwer, seine Musik in eine Schublade zu stecken. Das hat sich nicht geändert: Noch heute wird
Kenna manchmal in die Rhythm-and-Blues-Ecke gestellt, was ihn ärgert, weil er sagt, das hätte rein gar nichts mit seiner Musik
zu tun, sondern einzig und allein mit seiner Hautfarbe. Wenn Sie im Internet nach seinen Songs suchen, dann finden Sie ihn
mal unter »Alternative«, mal unter »Electronica«, mal unter »Unclassified«, |149| sprich: »Sonstiges«. Ein findiger Musikkritiker hat versucht, das Problem zu lösen, indem er Kennas Musik als eine Mischung
aus Britischem New Wave der Achtziger und Hip-Hop beschrieb.
Diese Schwierigkeiten bei der Einordnung seiner Musik haben sich zunehmend als Problem erwiesen, aber zu Beginn seiner Laufbahn
zerbrach sich Kenna darüber noch nicht den Kopf. Er hatte das Glück, durch einen Schulfreund ein paar Leute im Musikgeschäft
kennen zu lernen. »Irgendwie scheinen mir die Dinge einfach zuzufliegen, ich muss gar nicht viel dazu tun«, sagt Kenna. Seine
Demo-CD landete bei dem Talentscout einer Plattenfirma und gelangte
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