Blink! - die Macht des Moments
Erkenntnisprozesse sein.
Unsere zweite Lektion ist, dass ein guter Entscheidungsprozess so schlank wie möglich ist. John Gottman nahm sich ein komplexes
Problem vor und zerlegte es in einfachste Bausteine. Damit zeigte er, dass selbst die kompliziertesten Beziehungen und Probleme
ein erkennbares Muster haben. Lee Goldmans Forschungsarbeiten haben gezeigt, dass weniger mehr ist, wenn wir nach diesen Mustern
suchen. Je mehr Detailinformationen ein Entscheider bekommt, desto schwerer wird es für ihn, ein Grundmuster herauszufiltern.
Ein erfolgreicher Entscheider muss filtern.
Wenn wir Scheibchen schneiden, Muster erkennen und Spontanentscheidungen fällen, dann filtern wir ganz automatisch. Als Thomas
Hoving zum ersten Mal den Kouros des Getty Museums sah, bemerkte er, wie »frisch« dieser aussah. Federico Zeri konzentrierte
sich instinktiv auf die Fingernägel. Sowohl Hoving als auch Zeri schoben Tausende andere Eindrücke beiseite und konzentrierten
sich auf ein einziges Merkmal, das ihnen alles verriet, was sie wissen mussten. Wenn dieser Filterungsprozess durch irgendetwas
gestört wird, fangen die Probleme an – wenn wir nicht |143| filtern können, wenn wir nicht wissen, was wir filtern sollen, oder wenn unsere Umwelt uns verbietet zu filtern.
Erinnern wir uns an Sheena Iyengar, die Studien über Speed-Dating anstellte. Sie führte einmal ein Experiment durch, in dem
sie in einem Feinkostsupermarkt namens Draeger’s in Menlo Park einen Geschmackstest mit Gourmetmarmeladen durchführte. Manchmal
hatte sie sechs Marmeladensorten zur Auswahl, manchmal 24. Sie wollte herausfinden, ob die Anzahl der verschiedenen zum Probieren
angebotenen Marmeladen einen Einfluss auf den Umsatz mit Feinkostmarmeladen haben würde. Die Küchenweisheit des Einzelhandels
würde natürlich sagen: Je größer die Auswahl, desto mehr kauft der Konsument, weil er dann genau das Produkt findet, das seinen
Vorstellungen entspricht. Das Gegenteil ist der Fall. 30 Prozent aller Kunden, die an ihrem kleinen Stand eine Marmelade gekostet
hatten, kauften am Ende ein Glas der angebotenen Marmeladen – beim großen Stand waren es gerade einmal 3 Prozent. Der Grund?
Marmeladenkauf ist eine Spontanentscheidung. Die Kunden sagen sich ganz instinktiv: »Die hier will ich!« Und wenn die Auswahl
zu groß ist und sie gezwungen sind, Dutzende von Eindrücken gegeneinander abzuwägen, dann fühlen sie sich gelähmt. Spontanentscheidungen
können deshalb spontan getroffen werden, weil sie schlank sind, und wenn wir unsere Fähigkeit behalten wollen, Spontanentscheidungen
zu treffen, müssen wir dafür sorgen, dass sie auch schlank bleiben.
Das war genau die Erkenntnis, die van Riper mit seinem roten Team motivierte. Er und seine Offiziere analysierten die Lage
– doch nur zu Anfang, vor Beginn der Kriegshandlungen. Nach Ausbruch der Feindseligkeiten achtete van Riper darauf, sein Team
nicht mit unnötigen Informationen zu belasten. Meetings waren kurz, die Kommunikation zwischen dem Führungsstab und den Kommandeuren
der Untereinheiten wurde knapp gehalten. Er wollte ein Umfeld schaffen, in dem schnelles Denken möglich war. Die Offiziere
des blauen Teams dagegen hatten einen Überfluss an Informationen. Sie verfügten über eine Datenbank |144| mit 40 000 verschiedenen Einträgen, tönten sie. Auf ihren Bildschirmen machte CROP sämtliche Bewegungen im Kriegsgebiet in
Echtzeit sichtbar. Experten aus sämtlichen Abteilungen der US-Regierung arbeiteten ihnen zu. Sie standen über ein hochmodernes
Interface mit den Kommandanten aller vier Teilstreitkräfte in Verbindung. Sie hatten Zugriff auf kontinuierlich fortgesetzte
und rigorose Analysen ihres Gegenübers.
Doch sobald die kriegerischen Auseinandersetzungen begannen, wurde diese Information zu einer Belastung. »Ich verstehe sehr
gut, dass all diese Instrumente sich hervorragend zur Planung eines Einsatzes eignen«, sagt van Riper. »Aber ändert das etwas
in einem bestimmten Moment? Ich glaube nicht. Wenn wir Analyse und Intuition gegenüberstellen, dann ist keines von beiden
an sich gut oder schlecht. Schlecht wird es erst, wenn man eines von beiden im falschen Moment einsetzt. Stellen Sie sich
vor, Ihre Einheit wird von einem Maschinengewehr unter Beschuss genommen. Der Kommandant ruft seine Leute zusammen und sagt,
›Wir müssen den Angriff ans Hauptquartier weitermelden und weitere Befehle abwarten.‹ Das ist doch verrückt! Der
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