Blink! - die Macht des Moments
vorsingen lassen. Fred Durst hatte Kenna
durch die Begeisterung eines Freundes hindurch gehört. Die Zuschauer, die wieder und wieder |167| bei MTV2 anriefen, um sich seine Musik zu wünschen, hatten sein Video gesehen. Kenna außerhalb jedes Kontextes zu beurteilen,
ist nichts anderes, als Konsumenten aufzufordern, sich im Blindtest zwischen Pepsi und Coca-Cola zu entscheiden.
»Der Todesstuhl«
Vor einigen Jahren ließ der Möbelhersteller Herman Miller Inc. vom Industriedesigner Bill Stumpf einen neuen Bürostuhl entwerfen.
Stumpf hatte schon früher an der Entwicklung von Bürostühlen der Firma Herman Miller mitgearbeitet, insbesondere an den beiden
Vorgängermodellen Ergon und Equa. Mit keinem der beiden Produkte war Stumpf jedoch sonderlich zufrieden. Sie verkauften sich
gut, doch Stumpf hielt den Ergon für plump und unausgereift. Der Equa gefiel ihm besser, aber da der Stuhl inzwischen von
so vielen Firmen kopiert worden war, erschien ihm das Design abgenutzt. »Die Bürostühle, die ich vorher entworfen hatte, sahen
alle irgendwie gleich aus«, erklärt Stumpf. »Ich wollte etwas entwerfen, was völlig frisch und anders aussieht.« Dieses Projekt
nannte er Aeron, und die Geschichte des Aeron verdeutlicht uns eine weitere, tiefere Problematik unserer ersten Eindrücke:
Es fällt uns oft schwer, neue Dinge einzuordnen und zu verstehen, was wir wirklich für sie empfinden.
Bill Stumpf hatte das ehrgeizige Ziel, den ergonomischsten Stuhl zu entwerfen, der je hergestellt worden war. Mit dem Equa
hatte er bereits einen ersten Schritt in diese Richtung unternommen. Doch der Aeron sollte noch weit revolutionärer werden.
Stumpf steckte zum Beispiel eine Unmenge Arbeit in den Mechanismus, mit dem die Lehne mit der Sitzfläche verbunden war. Bei
einem gewöhnlichen Bürostuhl werden die beiden durch eine Art Scharnier zusammengehalten, sodass die Lehne nachgibt, wenn
wir uns zurücklehnen. Das Problem des Scharniers ist jedoch, |168| dass es sich anders dreht als das menschliche Hüftgelenk, was unter anderem zur Folge hat, dass beim Zurücklehnen leicht das
Hemd aus der Hose rutscht und unser Rücken unnötig belastet wird. Für den Aeron sah Stumpf daher einen Mechanismus vor, mit
dem sich Sitzfläche und Lehne unabhängig voneinander bewegten. Ein weiteres neues Detail waren die Armlehnen. Das Designer-Team
von Herman Miller stellte sich vor, dass diese perfekt angepasst werden konnten, und das war einfacher, wenn man sie an der
Rückenlehne befestigte, und nicht, wie allgemein üblich, unter der Sitzfläche. Außerdem sollten die Schultern so weit wie
möglich entlastet werden, weshalb die Rückenlehne des Aeron nach oben hin breiter wurde, während sie bei einem damals handelsüblichen
Bürostuhl nach oben hin zulief. Schließlich sollte der Stuhl auch dann noch bequem sein, wenn man mehrere Stunden am Arbeitsplatz
saß. »Ich habe mir Strohhüte und Bastmöbel angesehen«, erzählt Stumpf. »Ich hatte immer schon eine Abneigung gegen Schaumgummi
mit Stoffbezug, weil man leicht ins Schwitzen kommt. Die Haut ist ein Organ, sie atmet. Es hat mich sehr gereizt, ein atmungsaktives
Material wie Stroh zu verwenden.« Stumpf entschied sich schließlich für einen speziell entwickelten, dünnen und elastischen
Netzstoff, der straff auf einen Kunststoffrahmen gespannt wurde. Durch das Netz hindurch konnte man das ganze Innenleben des
Stuhls, die Hebel und harten Kunststoffteile unter der Sitzfläche erkennen.
Aus jahrelanger Erfahrung wusste man bei Hermann Miller, dass die meisten Kunden automatisch zu Bürostühlen griffen, die den
größten Status vermittelten – einer Art Thron mit dicken Polstern und einer hohen, imposanten Rückenlehne. Der Aeron vermittelte
das genaue Gegenteil: Er war eine grazile, transparente Konstruktion aus schwarzem Kunststoff mit merkwürdigen Hebeln und
einem seltsamen Netz. Im Ganzen wirkte er ein bisschen wie das Exoskelett eines riesigen, prähistorischen Insekts. »In den
USA verwechseln viele Menschen Sitzkomfort mit einem Fernsehsessel«, meint Stumpf. »Deutsche Autohersteller machen |169| sich darüber lustig, dass sie bei den Exportmodellen für die USA die Sitzpolster auffüttern müssen. Wir haben diesen Wahn,
dass alles weich und rund sein muss. Deswegen hat Walt Disney seiner Mickeymaus diese riesigen Handschuhe verpasst. Wenn er
richtige Mäusekrallen gezeichnet hätte, wäre Mickey gleich weg vom Fenster
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