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Blink! - die Macht des Moments

Titel: Blink! - die Macht des Moments Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Malcolm Gladwell
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entwickelten‹ Prototypen hätten«, erinnert sich Dowell. »Und wir konnten nur sagen:
     ›Es wird keinen ästhetisch weiter entwickelten Prototypen geben!‹«
    Versetzen Sie sich einen Moment in die Lage von Herman Miller. Sie haben ein brandneues Produkt entwickelt. Sie haben eine
     Menge Geld ausgegeben, um Ihre Möbelfabrik für die Serienfertigung einzurichten, und noch mehr, um sicher zu gehen, dass das
     Netz niemanden in den Hintern zwickt, der sich darauf setzt. Und jetzt stellen Sie fest, dass dieses Netz bei den potenziellen
     Kunden nicht ankommt. Viel schlimmer, diese Kunden halten den Stuhl von oben bis unten für eine Ausgeburt an Hässlichkeit.
     Und wenn Sie eines aus Ihrer jahrelangen Erfahrung als Möbelfabrikant wissen, dann, dass niemand sich einen Stuhl anschafft,
     den er abgrundhässlich findet. Was machen Sie jetzt? Sie können den Stuhl komplett fallen lassen. Sie können ihn in die Werkstatt
     schicken und ihn mit den üblichen dicken Schaumstoffkissen beziehen lassen. Oder Sie können Ihrem Instinkt vertrauen und den
     Stuhl trotzdem auf den Markt bringen.
    Herman Miller entschied sich für die dritte Möglichkeit und lieferte den Stuhl aus. Anfangs passierte nicht allzu viel. Es
     war nicht daran zu rütteln, der Aeron war ein hässliches Monster. Es dauerte jedoch nicht lange, ehe der Stuhl bei einigen
     Designern Aufmerksamkeit erregte. Die Gesellschaft für Industriedesign zeichnete den Stuhl als Entwurf des Jahrzehnts aus.
     In Kalifornien und New York, in Silicon Valley und der Werbebranche wurde der Stuhl zu einer Art Kultobjekt: Seine reduzierte
     Ästhetik entsprach dem Lebensgefühl der New Economy. Der Aeron tauchte |172| plötzlich in Kinofilmen und Werbespots auf, und von da an entwickelte sich sein positives Image unaufhaltsam weiter. Ende
     der Neunziger verzeichnete Herman Miller jährliche Zuwachsraten von 50 bis 70 Prozent, und plötzlich hatte sich das hässliche
     Entchen zum erfolgreichsten Bestseller der Unternehmensgeschichte gemausert. Es dauerte nicht lange, und der Aeron war der
     am meisten imitierte Bürostuhl der Möbelbranche. Jeder wollte mit einem Mal einen Stuhl haben, der aussah wie das Exoskelett
     eines riesigen prähistorischen Insekts. Und die Umfragewerte für die Ästhetik des Stuhls liegen heute bei 8. Was gestern noch
     als hässlich ausgelacht wurde, ist heute plötzlich schön.
    Im Falle des Schlückchentests bei Cola-Getränken sind erste Eindrücke irreführend, weil niemand Cola mit verbundenen Augen
     trinkt: Der Kontext fehlt. Im Falle des Aeron waren die ersten Eindrücke der potenziellen Kunden aus einem anderen Grund wenig
     aussagekräftig: Die befragten Personen verstanden ihre eigenen Reaktionen nicht. Spontan sagten sie, der Stuhl gefalle ihnen
     nicht. Was sie aber wirklich sagen wollten, war, dass dieser Stuhl radikal und ungewohnt war und sie sich erst daran gewöhnen
     mussten. Das trifft nicht auf alles zu, was wir als hässlich empfinden. Der Edsel, der berühmte Flop des Automobilherstellers
     Ford aus den Fünfzigern, fiel bei den Konsumenten durch, weil sie ihn für hässlich hielten. Zwei oder drei Jahre später bauten
     jedoch plötzlich alle Autofirmen Modelle, die aussahen wie der Edsel, genau wie Möbelhersteller mit einem Mal begannen, den
     Aeron zu kopieren. Der Edsel war damals hässlich und ist es heute noch. Genauso gibt es Filme, die den Zuschauern nicht gefallen,
     wenn sie in die Kinos kommen, und die sie zwei oder drei Jahre später noch genauso schrecklich finden. Ein schlechter Film
     bleibt schlecht. Allerdings verstecken sich unter den Dingen, die wir hässlich und abstoßend finden, auch solche, die wir
     einfach nicht verstehen: Sie machen uns nervös, weil sie anders sind als alles, was wir kennen, und wir erst eine ganze Weile
     brauchen, bis wir verstehen, dass sie uns in Wirklichkeit doch gefallen.
    |173| »Wenn Sie in der Produktentwicklung arbeiten, dann stecken Sie so tief in Ihrer eigenen Welt, dass Sie leicht vergessen, wie
     wenig Zeit ein Konsument darauf verwendet, sich Ihr Produkt anzusehen«, sagt Dowell. »Als Konsument sehen Sie das Ding an
     Ort und Stelle im Laden. Sie haben keine Beziehung zu ihm, und es fällt Ihnen schwer, sich eine Zukunft mit ihm vorzustellen,
     zumal wenn es völlig anders aussieht als alles, was Sie kennen. Das war das Problem mit dem Aeron. Für die meisten Kunden
     hat ein Bürostuhl eine ganz bestimmte Ästhetik: Er hat weich und gepolstert zu sein. Das war

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