Blink! - die Macht des Moments
dann scheint
das gerechtfertigt und ehrlich. Aber wenn er dieselbe Eiskrem nicht mehr in eckige, sondern in runde Packungen abfüllt und
dann 5 bis 10 Cent mehr verlangt, dann erscheint uns das als Betrug. Genauer betrachtet besteht allerdings kein praktischer
Unterschied zwischen den beiden Strategien. Als Kunden sind wir bereit, mehr zu bezahlen, wenn uns die Eiskrem besser schmeckt, |165| und wenn der Hersteller sein Eis in runde Behälter abfüllt, dann hat dies denselben Einfluss auf den Geschmack, wie wenn er
die Größe seiner Schokoladenstückchen verdoppelt. Natürlich sind wir uns der einen Veränderung bewusst und der anderen nicht,
aber warum sollten wir dazwischen einen Unterschied machen? Warum sollte ein Eishersteller nur von den Verbesserungen profitieren
dürfen, derer wir uns als Kunden bewusst sind? Sie können nun sagen: »Die manipulieren uns.« Aber wer manipuliert uns eigentlich
genau? Der Eishersteller? Oder unser eigenes Unbewusstes?
Weder Masten noch Rhea sind der Ansicht, dass eine Firma ein schlechtes Produkt in einer cleveren Verpackung verkaufen kann.
Der Geschmack spielt nach wie vor eine große Rolle. Der Punkt ist nur, dass wir in dem kurzen Augenblick, in dem wir etwas
in den Mund nehmen und entscheiden, ob es uns schmeckt oder nicht, auf weit mehr reagieren als auf die Impulse unserer Geschmacksknospen:
Das Auge isst genauso mit wie unsere Erinnerungen, Erwartungen und Wünsche. Ein Lebensmittelhersteller wäre schlecht beraten,
nur eine dieser Dimensionen anzusprechen und die anderen zu vernachlässigen.
Vor diesem Hintergrund wird der Fehler, den die Coca-Cola Company mit New Coke beging, umso ungeheuerlicher. Nicht nur, dass
die Firma den Schlückchentest völlig überbewertete. Der Gedanke des Blindtests an sich war völlig absurd. Sie hätten sich
keine Gedanken darüber zu machen brauchen, dass Old Coke in Blindtests unterlegen war. Pepsis Überlegenheit in den Blindtests
schlug sich in der wirklichen Welt nie derartig extrem auf die Verkaufszahlen nieder. Der Grund:
In der wirklichen Welt
trinkt niemand Coca-Cola mit verbundenen Augen.
Auf unsere Geschmacksempfindung übertragen wir all die Assoziationen, die die Marke, das Image, die Dose, ja sogar das Rot
des Logos unbewusst in uns auslösen. »Coca-Cola machte den Fehler, den Verlust ihrer Marktanteile allein auf das Produkt zurückzuführen«,
erklärt Rhea. »Was bei Colas aber eine unglaublich große |166| Rolle spielt, ist das Image der Marke, und das haben sie dabei völlig aus den Augen verloren. Alle Entscheidungen sind nur
darauf hinausgelaufen, das Produkt selbst zu ändern. Pepsi dagegen hat seine Marketingstrategie auf Jugendliche abgestellt,
Michael Jackson als Werbeträger verpflichtet und jede Menge kluge Dinge unternommen, um das Markenimage zu stärken. Klar,
im Schlückchentest stehen die Leute auf das süßere Produkt, aber die Kaufentscheidung wird ja nicht im Schlückchentest getroffen.
Das Problem bei Coca-Cola war, dass die Jungs in den weißen Kitteln das Ruder in die Hand genommen haben.«
Und wie lief es im Fall von Kenna? Haben auch bei ihm die Jungs in den weißen Kitteln das Ruder in die Hand genommen? Die
Marktforscher gingen davon aus, dass sie ihren Musiktestern einfach einen Song oder auch nur einen Teil eines Songs übers
Telefon oder übers Internet vorzuspielen brauchen, um von den Zuhörern ein verlässliches Urteil darüber zu bekommen, was potenzielle
Musikkäufer von Kenna halten. Sie nehmen an, dass Hörer einen neuen Song in wenigen Sekunden in dünne Scheibchen schneiden,
und im Grunde ist diese Vorstellung ja auch richtig. Aber dieses Scheibchenschneiden braucht einen Kontext. Es ist möglich,
innerhalb kürzester Zeit zu beurteilen, wie zwei Ehepartner zueinander stehen. Doch es reicht nicht aus, dem Paar beim Federballspielen
zuzusehen: Die beiden müssen über etwas sprechen, das zentrale Bedeutung für ihre Beziehung hat. Es ist möglich, anhand kurzer
Gesprächsfetzen mit einiger Sicherheit abzuschätzen, ob ein Chirurg im Laufe seiner Karriere wegen eines Behandlungsfehlers
verklagt werden wird oder nicht. Doch es darf kein Gespräch mit dem Nachbarn über dem Gartenzaun sein, sondern eines mit einem
Patienten. Die Menschen, denen Kennas Musik gefiel, hatten diesen Kontext. Die Besucher des Roxy oder des Konzerts von No
Doubt hatten ihn in Fleisch und Blut erlebt. Craig Kallman hatte Kenna in seinem Büro
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