Blitz der Hengst des Sonnengottes
sehen konnte. Als er tiefer in die Höhle eindrang, wirbelte Staub um seine Füße, und die Wände warfen das Echo seiner Schritte zurück.
Er fand die Indianer in einem großen, runden Raum um das Feuer sitzen. Der Rauch entwich durch einen Steinkamin. An den Wänden lehnten zerbrochene Leitern, mit denen man Stockwerk um Stockwerk zu den Kammern hinaufsteigen konnte, die über ihnen lagen.
Die Wandzeichnungen in dem großen Raum zogen Alecs Blick an. Sie zeigten geschmeidige, rothäutige Gestalten, die feingearbeiteten Schmuck trugen. Auch elegante Waffen, Handwerkszeug und Geräte waren abgebildet, alles eindeutige Beispiele einer hochentwickelten Kultur.
Vielleicht gehörte das Häuflein, das hier um das flackernde Feuer saß, zu den letzten, die von diesem Volk übriggeblieben waren. Alec betrachtete die Zeichnungen nachdenklich. Wer konnte die wahre Bedeutung von allem, was die Indianer erduldet hatten, verstehen? Und was kam nach dem Ende? Ein neuer Anfang, wie sie glaubten?
Endlich drangen Geräusche des täglichen Lebens und der Duft der auf dem Feuer kochenden Speisen in Alecs Sinne. Als er sich näherte, erhoben die Indianer lange Stangen zum Gruß. Diese Gebetsstöcke und die Federn des Stammes hatten sie mitgebracht, und Alec sah sie zum ersten Mal.
Der Knabe Alph, der zwischen seinen Eltern saß, sprang auf und kam auf Alec zu. »Bleib bei uns«, sagte er und legte seinen dünnen Arm um Alecs Mitte, »wir wollen die neue Welt zusammen begrüßen.« Dann zog er ihn zum Feuer. »Wir wollen essen und uns stärken. Und wenn der neue Tag anbricht, können wir zusammen beginnen, die Felder zu bestellen.«
Viele Stunden, so schien es Alec, saß er neben Alph und lauschte den Gebeten der Indianer, die sie an ihre vielen Götter richteten — Sonne, Mond, Erde und Sterne — und an alle Geister, von denen sie Hilfe erhofften.
Die Nacht wollte kein Ende nehmen. Häufig fuhr Alec aus kurzem Schlaf auf und ging zu Blitz, nicht nur, um sich zu vergewissern, daß es ihm gut ging, sondern auch, um ihn zu berühren, als wenn der Hengst das einzig Wirkliche wäre, was ihm in dieser Welt geblieben war. Danach kehrte Alec zu den Indianern zurück und lauschte ihren Gebeten und ihren Hoffnungen auf eine neue Welt.
Dabei wanderte sein Geist immer wieder zwischen Wirklichkeit und Traum. Ging es ihm ähnlich wie den Indianern? Wollte nicht auch er sich von der Grausamkeit einer Welt befreien, die ihm Pam entrissen hatte? War es das, was ihn hierhergeführt hatte? Endlich erhob er sich mühsam. »Weglaufen ist genauso einfach wie sterben«, sagte er laut. »Nur Weiterleben ist schwer.« Seine Antwort, die einzige Antwort auf das Leid, das er ertragen mußte, war weiterzumachen. Wenn er sich weigerte, den Schutz des Heiligen Pueblos zu verlassen, bedeutete das die Flucht vor der einzi gen Welt, in die er gehörte.
Alec war schon im Begriff, die Höhle zu verlassen, als Alphs Arme ihn umschlangen, um ihn zurückzuhalten.
»Ich gehe jetzt«, sagte er zu dem Jungen. »Ich muß nachsehen, was von meiner Welt doriggeblieben ist.«
»Draußen wartet nur der Tod«, sagte Alph flehend, und seine dunklen Augen suchten Alecs Blick. »Der neue Tag wird bald anbrechen. Du mußt hierbleiben. Du gehörst zu uns.«
»Ich bin niemals das gewesen, wofür ihr mich gehalten habt«, entgegnete Alec. »Ebensowenig wie mein Pferd.«
»Das möchtest du nur glauben. Aber es ist nicht so«, sprach Alph feierlich.
»Ich weiß es nicht besser«, erwiderte Alec und schüttelte die Hände des Knaben ab. »Ich kann nicht anders handeln.«
»Dann mußt du es selbst erfahren!« rief Alph hinter ihm her. Wenige Augenblicke später stolperte Alec aus der Höhle heraus. Wie viele Stunden mochten seit ihrer Ankunft im Pueblo vergangen sein? Er hatte jeden Sinn für Zeit verloren. Als er den Blick zu der engen Öffnung über sich hob, sah er ein Stück grauen Himmels, das immer heller wurde. Vielleicht hatte Alph recht, und es brach tatsächlich ein neuer Tag an.
Nicht Alphs neuer Tag, verbesserte er sich, nicht der der alten indianischen Prophezeiung, sondern sein eigener.
Ein leichter Windhauch regte sich, als Alec den Pfad zur Sohle des unterirdischen Dorfes hinunterkletterte. Dort graste der Hengst, und dahinter im immer heller werdenden Licht erkannte Alec die undeutlichen Umrisse der Schafe.
Langsam näherte er sich Blitz, und mit jedem Schritt wuchs seine Überzeugung, daß er weitergehen, daß er nicht bleiben durfte. Er schlang seine
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