Blitz: Die Chroniken von Hara 2
verschmerzen. Ebenso der Umstand, dass die Siegerparaden nach diesem Mord ins Wasser fielen.
Trotzdem erzählte ich Shen diese Geschichte nicht. Wozu sollte ich?
»Nur habe ich nicht die geringste Absicht, mich zu rechtfertigen«, sagte ich stattdessen. »Das missfällt dir? Bitte. Denn mir ist alles egal, bis auf Lahen. Sie ist der einzige Sinn in meinem Leben. Alles andere kann mir gestohlen bleiben, genauso wie ja auch ich für niemanden sonst eine Bedeutung habe.«
»Wie kann man sich nur so über alle erheben? Was ist, wenn du eines Tages am Boden liegst? Glaubst du, dann wird irgendjemand einem Kerl wie dir die Hand hinhalten?«
»Nein, das tu ich nicht. Solch törichte Hoffnungen hege ich grundsätzlich nicht.«
»Ihr Gijanen werdet euer Leben lang für eure Verbrechen bezahlen. Wo auch immer ihr seid. Lahen und du, ihr habt es bereits am eigenen Leib erfahren, als der Turm euch beide geschnappt hat. Anderen von eurer Sorte wird es nicht besser ergehen. Die Vergangenheit neigt zur Rache. Sie würde euch sogar im Reich der Tiefe einholen. Ihr müsst in beständiger Angst leben, dass euch jemand ans Leder will, dass euch die Soldaten wiedererkennen, dass euch nachts Albträume heimsuchen … Ich selbst würde mich deshalb nie im Leben auf … deine Arbeit einlassen.«
»Mag sein, dass du recht hast. Aber irgendwie werde ich schon mit allem fertig.«
»Du bist ein hervorragender Zimmermann, davon konnte ich mich selbst überzeugen. Warum hast du also wieder zum Bogen gegriffen? Wenn du so gern schießt, dann werde doch Kopfgeldjäger. Jeder Feudalherr oder jede Stadt würde einen Mann mit deiner Erfahrung in Lohn und Brot nehmen. Oder tritt der Armee bei. Die brauchen immer gute Bogenschützen.«
»Nur gefällt es mir nun mal, unschuldige Menschen für Geld zu töten!«, zischte ich. »Das wolltest du doch wohl hören, oder? Also, bist du jetzt zufrieden?«
Er erwiderte kein Wort, sondern sah mich nur missbilligend an und steckte die Spielfiguren in einen kleinen Beutel.
Bisher habe ich noch alle, die mir vorschreiben wollten, wie ich zu leben habe, ins Reich der Tiefe gewünscht. So würde ich es auch in Zukunft handhaben. All diese Besserwisser stehen auf der einen Seite des Lebens, mich aber hat es auf die andere verschlagen. Deshalb hat niemand das Recht, darüber zu urteilen, was gut ist und was schlecht.
Niemand macht sich gern die Hände schmutzig. Aber alle rümpfen nur zu gern das adlige Näschen, geben ein »Das gehört sich aber nicht« von sich – rennen dann jedoch auf die Straße hinaus, um Blumen unter die blutgetränkten Hufe eines Pferdes zu streuen, auf dem irgendein Feldherr aus dem Krieg heimkehrt. Wahrscheinlich ist genau das der Grund, warum mir die meisten Menschen nicht behagen: Sie können und wollen nur sich selbst verstehen. Sie blicken nie über den eigenen Tellerrand hinaus und halten jede weiße Weste für sauber.
Nur frage ich mich in letzter Zeit immer öfter, ob es das überhaupt gibt: eine weiße Weste.
Lahen saß auf dem Bett. Am Boden türmte sich ein ganzer Berg Kleidung aus den Schiffstruhen von Dash. Für sich hatte sie ein paar passende Hosen aus altem, abgeriebenem Leder, zwei Hemden (eines aus Seide mit breiten Ärmeln und einem nicht allzu bequemen Kragen, das andere aus Wolle und weitaus wärmer) sowie eine Art kurzer Jacke gefunden und sich bereits umgezogen.
»Die Hosen sind ein wenig eng«, sagte sie, als sie meinen abschätzenden Blick auffing.
»Sie kleiden dich aber. Hast du ausgeschlafen?«
»Ja. Welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen?«
»Shen wollte mir erklären, wie ich mein Leben zu führen habe. Es hat mich einige Anstrengung gekostet, ihm nicht links und rechts eine zu verpassen.«
»Dann haben dich seine Erklärungen nicht überzeugt?«
»Nein. Dafür hab ich ihm aber auch keine verpasst«, antwortete ich grinsend, um dann das Thema zu wechseln: »Übrigens habe ich noch immer die Pfeilspitze, die er mir gegeben hat. Hier ist sie.«
Sie nahm die Spitze mit unverhohlener Scheu an sich und betrachtete sie genau. »Mich würde wirklich interessieren, woher er die hat.«
»Und warum er sie mit sich rumschleppt. Könnte er Typhus damit wirklich umbringen?«
»Mit Sicherheit. Ihr würde das gleiche Schicksal widerfahren wie jener Schreitenden, die wir in die Glücklichen Gärten geschickt haben. Nur mit diesem Artefakt kannst du diejenigen, die die Gabe in sich tragen, töten. Ich habe dir von solchen Stücken schon früher
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