Blitz: Die Chroniken von Hara 2
erzählt. Sie wurden geschaffen, lange bevor der Skulptor die Wegblüten angelegt hat. Den der Turm dann ja auch mit einem solchen Artefakt umgebracht hat. Danach galten entsprechende Waffen lange Zeit als verloren. Es heißt, die Sdisser Nekromanten hätten sie gestohlen. In Wahrheit wurden sie jedoch nur zuverlässig versteckt, denn beim Dunklen Aufstand tauchten sie plötzlich wieder auf. Zumindest hat Ghinorha behauptet, die Aufständische Ossa sei durch ein Messer gestorben, das aus dem gleichen Material angefertigt worden war. Im Krieg der Nekromanten wurden sie aber nicht eingesetzt, das steht fest.«
»Warum eigentlich nicht? Damit hätte man die Verdammten doch sehr schnell ausschalten können.«
»Keine Ahnung, doch nach dem Aufstand waren diese Artefakte verschwunden. Offenbar wurden sie jetzt aber
wiedergefunden.
Ich bin mir sicher, dass Shen die Pfeilspitze von derselben Person erhalten hat wie wir damals: von Ceyra Asani.«
Sie gab mir die Spitze zurück.
»Bleibt die Frage, warum sie sie ihm gegeben hat«, sagte ich.
»Ich glaube nicht, dass es etwas mit uns zu tun hat«, erwiderte Lahen. »Mit dem Zauber, den sie in meinen Funken eingewebt hat, behält sie uns wesentlich besser unter Kontrolle, als Shen es je könnte. Für sie hätte also kein Anlass bestanden, ein derart kostbares Stück unseretwegen einem Heiler auszuhändigen, der nicht sonderlich begabt ist.«
»Er mag ja nicht sonderlich begabt sein – aber um jemanden zu töten, bräuchte er nicht unbedingt seinen Funken«, widersprach ich, denn mir fiel ein, wie geschickt Shen Gnuzz mit dem Messer erledigt hatte.
»Trotzdem dürfte Shen es nicht auf uns abgesehen haben. Wenn du mich fragst, steht er auf unserer Seite. Zumindest bis wir das Regenbogental erreicht haben.«
»Ich wünschte, ich wäre mir da genauso sicher wie du«, seufzte ich. »Was ist mit deiner Gabe?«
»Nach der Begegnung mit Typhus bin ich wieder leer«, gestand sie nach einer Weile ein. »Ich musste die ganze Kraft meines Funkens aufbringen, um ihr Widerstand zu leisten. Deshalb wird es einige Zeit dauern, bis meine Gabe uneingeschränkt wiederhergestellt ist. Aber für ein paar billige Tricks reicht es immer noch«, beruhigte sie mich, um gleich darauf in Gedankensprache hinzuzufügen:
»Zum Beispiel, um mit dir zu reden, ohne den Mund zu öffnen.«
»Verstehe. Aber wir schaffen es ganz bestimmt auch so ins Regenbogental. Der Krieg findet im Osten statt, die Bluttäler dürften daher kaum eine Gefahr darstellen. Dort sollte es eigentlich keine Sdisser Nekromanten oder ähnlichen Abschaum geben. Wir müssten also etwaige Auseinandersetzungen mit unseren Fäusten oder Pfeil und Bogen klären können.«
In diesem Augenblick klopfte es an der Tür, und Kapitän Dash trat ein, noch ehe wir ihn dazu aufgefordert hatten. Er ließ einen finsteren Blick durch die Kajüte schweifen, nur um dann noch mürrischer zu erklären: » Allmählich wird es Zeit für euch, uns zu verlassen, sonst landet ihr am Ende doch noch in Grohan. Oder habt ihr es euch inzwischen anders überlegt?«
»Nein.«
»Gut. Die Männer haben ein Beiboot fertig gemacht. Euer Freund wartet bereits auf euch. Packt eure Sachen, dann bringen wir euch an Land.«
»Was ist mit einer Armbrust? Kannst du uns eine überlassen?«
»Ja. Sogar ohne was dafür zu verlangen.«
»Woher diese Großzügigkeit?«, fragte ich erstaunt, denn ich hatte die Unsumme nicht vergessen, die er uns für die Kleidung und die Kajüte abgeknöpft hatte.
»Guten Menschen gebe ich gern eine Armbrust. Ich warte an Deck auf euch.«
Ich nickte. Endlich sollten wir wieder festen Boden unter die Füße bekommen.
Kapitel
14
Thia saß am Ufer, hinter alten, umgeworfenen Kisten und einem an Land gezogenen Boot verborgen. Je kleiner das Schiff am Horizont wurde, desto stärker schrumpfte auch ihre Hoffnung. Sie fühlte sich elend, betrogen und verraten. Die unablässige Jagd hatte sie ihre letzten Kräfte gekostet. Obendrein grämte es sie, ihre Gabe nicht in vollem Umfang einsetzen zu können. Was, wenn Talki nicht imstande war, ihr zu helfen? Oder es nicht wollte?
All das trieb sie in eine Verzweiflung, die sich, nach einem Ausbruch von Wut und Zorn, in banalen Tränen entlud. Sie schämte sich, verstand nicht, wie dergleichen überhaupt möglich war – und schluchzte doch aus voller Kehle. Was war das für ein Leben? In einem fremden Körper mit fremden Augen fremde Tränen zu weinen …
Denn
ihre
Tränen waren doch
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