Blitz: Die Chroniken von Hara 2
schloss.
»Noch ein Küchlein, mein Junge?«, fragte Lepra nun Shen.
»Nein, danke, ich bin satt.«
»Auch schön. Ich mag es nicht, wenn meine Gäste hungrig bleiben. Und nun, da wir hier in derart trauter Runde zusammensitzen, möchte ich das Gespräch auf die wesentlichen Fragen lenken. Ihr werdet doch hoffentlich nicht angenommen haben, dass ich euch einzig deshalb eingeladen habe, um euch mit meinen Küchlein zu bewirten?«, fragte sie lachend. »Möchtest du etwas fragen, meine Liebe? Nur zu, immer frei heraus. Ich bin nicht so schrecklich, wie stets behauptet wird. Und wenn es mir möglich ist, werde ich mit Freude antworten.«
Lahen schüttelte jedoch nur den Kopf.
»Du hast noch keine Fragen? Auch gut. Aber sie werden mit Sicherheit noch auftreten, dann geniere dich nicht«, schärfte sie Lahen ein. »Leider muss ich weit ausholen. Von eurem wunderbaren, rastlosen Trio habe ich erfahren, als ich die arme Thia in einem fremden Körper gesehen habe. Ich hätte ja nie gedacht, dass im Imperium, in dem es um die Magie doch so schlecht bestellt ist, noch derart talentierte Menschen zu finden sind. Aber doch, es gibt sie! Ein Mädchen, das ich zunächst für eine Autodidaktin gehalten habe, und einen Heiler! Was für ein Geschenk des Schicksals! Als es euch dann gelungen ist, aus Alsgara zu entkommen, habe ich freilich befürchtet, wir würden uns niemals kennenlernen. Verzeih mir die Offenheit, mein Junge«, richtete sie das Wort an mich, »aber ich war weit begieriger darauf, deine beiden Gefährten kennenzulernen als dich. Und unsere launenhafte Thia hatte ohnehin ihre … eigenen Pläne mit dir.«
Der plüschige weiße Kater streckte sich, gähnte träge und sprang vom Tisch auf die Knie der alten Hexe. Die streichelte ihn gedankenverloren hinterm Ohr, worauf das Prachttier behaglich schnurrte. Dann fuhr Lepra fort: »Wo waren wir stehen geblieben? Ach ja, Alsgara. Ihr seid der guten Thia entkommen. Aber ich bin ja auch noch da. Natürlich hätten wir uns nie getroffen, gäbe es bei jenem Wirt nicht diesen famosen Shaf. Aber ich hatte ja keine Ahnung, welche Überraschung bei dem lieben Mann noch auf mich wartete. Ach, meine guten Kinder«, sie seufzte theatralisch. »Habt ihr mich wirklich für eine so dumme Gans gehalten? Habt ihr tatsächlich geglaubt, wenn ihr euch nur still verhieltet, würde ich euren Funken nicht spüren? Nun gut, irgendeine
Schreitende
hätte euch womöglich übersehen, selbst wenn ihr vor ihr gestanden hättet, aber doch nicht ich.«
»Warum habt Ihr uns dann nicht gleich in der Schenke festgesetzt?«, wollte Shen wissen.
»Als ich noch ein kleines Mädchen war«, holte sie lächelnd aus, »und mein Funke noch kaum entfacht war, hat mein Vater mich oft mitgenommen, um Forellen zu fangen. Weißt du, was für ein verzwicktes Unterfangen das ist? Du darfst die Fische nicht erschrecken. Wenn du sie aber doch aufschreckst, musst du alles tun, was in deinen Kräften steht, um den Fisch glauben zu lassen, du wärst verschwunden. Dann vergisst er die Gefahr. Gewiss, ich hätte euch schon in der Schenke zu mir einladen können, aber dann hättet ihr euch womöglich stur gestellt … und alles verdorben. Bei der Gelegenheit fällt mir ein …«
Die Alte ging zu einem Mahagonibüfett, zog die zweite Schublade von oben auf, holte ein paar weiße Tischtücher heraus, legte sie zur Seite und entnahm der Lade schließlich Shens Tasche, die sie ganz unten versteckt hatte. Unserem Freund entglitten die Gesichtszüge.
»Obwohl ich schon oft genug erlebt habe, dass die unscheinbarsten Truhen die schönsten Geschmeide enthalten, hätte ich doch nie darauf zu hoffen gewagt, in der schlichten Tasche eines so lieben Jungen derart erstaunliche Stücke zu finden.«
Vorsichtig legte sie drei Pfeilspitzen aus diesem seltsamen Material auf den Tisch. Daneben eine vierte, in der noch etwas Holz vom Schaft steckte – ebenjene, mit der ich Lepra beinahe aus der Schenke heraus erschossen hätte. Als Letztes gesellte sich ihren Funden das Messer mit dem gelb angelaufenen, beinernen Griff hinzu.
»Ein Funkentöter. Damit hätte ich unter keinen Umständen gerechnet. Mit einem solchen Messer hat der Turm einst viele, die den Funken in sich trugen, ins Reich der Tiefe geschickt. Sehr viele sogar. Ich erinnere mich noch genau, wie ein dummer Schüler Ossa getötet hat. Und auch Tsherkana hätte er fast die Kehle aufgeschlitzt. Ley hat das verhindert, sodass die gute Tsherkana erst eine Stunde später
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