Blitz: Die Chroniken von Hara 2
diese feige Verräterin, ihrer Ansicht nach wie niemand sonst den Tod verdient hatte.
Denn es war Mithiphas Schuld, dass sich ihr, Thias, Leben von Grund auf und für alle Zeiten verändert hatte.
Wäre sie nicht gewesen, hätte sie Soritha nicht umbringen müssen.
Wäre sie nicht gewesen, wären sie und Rethar niemals nach Alsgara zurückgekehrt – und er hätte nicht am Ufer der Orsa den Tod gefunden.
Diese erbärmliche, biedere, verhuschte Kreatur, die sich stets hinter Talkis Rücken verschanzte. Ohne diese Schutzherrin hätte Thia diese Laus von Mithipha längst zerquetscht. Aber nein, Talki musste ihre Hand ja schützend über Mithipha halten. Warum auch immer.
»Mach, dass du wegkommst!«, stieß Thia aus und zerriss unter Aufbietung all ihrer Kräfte die Verbindung. Wäre Mithipha nur etwas stärker gewesen, hätte sie, Thia, in ihrer gegenwärtigen Lage noch nicht einmal das zustande gebracht.
Eine Zeit lang hatte sie Ruhe, doch dann ging es wieder los.
Diese Hartnäckigkeit kitzelte schließlich Thias Neugier. Mithipha gab normalerweise sofort auf, wenn sie abgewimmelt wurde. Aber nicht diesmal. Das konnte nur eines heißen: Es musste etwas geschehen sein, das keinen Aufschub duldete.
Wenn ich heute Abend noch etwas Wein trinken will, sollte ich mir wohl eine neue Flasche besorgen, dachte Thia, ehe sie zum dritten Mal an diesem Tag den Inhalt des Glases gegen die Wand schüttete und mit finsterer Miene darauf wartete, dass sich im Spiegel ein Gesicht zeigte.
Mithipha war zehn Jahre älter als Thia, doch wer auch immer die beiden früher nebeneinander gesehen hatte, hätte sie für gleichaltrig gehalten. Die Graue Maus war für eine Frau recht groß und trug eine prachtvolle Mähne ewig zerzausten schwarzen Haares zur Schau, das sie wie ein Umhang umgab und einem jungen Mädchen gleichen ließ. Sie war so schlank und geschmeidig wie eine Hochseilartistin, in der Schule im Regenbogental ausgebildet worden und führte ihre Umwelt in der Regel an der Nase herum, was ihr wahres Alter anging.
»Ich …«, setzte Mithipha an, verstummte aber, als sie entdeckte, dass sie einen Mann vor sich hatte. Die dichten, zobelartigen Brauen über den grauen Augen krochen nach oben, der Unterkiefer klappte ihr herunter.
Und dieser Närrin haben wir den Sturm auf die Burg der Sechs Türme anvertraut?, schoss es Thia durch den Kopf. Wie hatte sie die Festung nur nehmen können?
Doch im Grunde ihres Herzens begriff Thia, dass sie das klug eingefädelt hatten. Vor allem Talki hatte darauf bestanden, dass ihre ehemalige Schülerin diese Aufgabe übernahm. Die Schreitenden wussten noch weniger von ihr als von den anderen Verdammten, denn Mithipha hatte im Krieg der Nekromanten eine eher untergeordnete Rolle gespielt. Weil die Besonderheiten ihrer Zauber dem Turm nahezu unbekannt waren, wurden die Schreitenden kaum in der Art ihrer Geflechte unterwiesen. Da sich Mithipha obendrein vorzüglich darauf verstand, jeden Versuch zu unterbinden, ihren Funken auszumachen, durften sie alle sich sicher sein, beim Angriff auf die Burg der Sechs Türme das Moment der Überraschung auf ihrer Seite zu haben.
Thia hatte gegen diesen Vorschlag Talkis länger als alle anderen Widerstand geleistet. Nur zu gut war ihr noch in Erinnerung, wie kläglich Mithipha bei der Mutter versagt hatte, wie diese feige Kuh vor Soritha auf Knien herumgerutscht war und um Gnade gewinselt hatte. Talki jedoch hatte hartnäckig auf ihrem Plan bestanden. Und er war ja auch aufgegangen. Die Burg hatte nicht mit einem Angriff gerechnet, und mit den unerfahrenen Schreitenden war selbst die Graue Maus fertig geworden.
»Ich bin es, Thia«, erklärte Thia durch Porks Mund, als sie bemerkte, dass Mithipha kurz davor war, das Geflecht des Zaubers, mit dem das Silberfenster aufrechterhalten wurde, zu zerreißen.
»Thia?« Die Verwirrung in den grauen Augen nahm noch zu. »Thia?!«
»Hast du mittlerweile Probleme mit den Ohren?«, zischte Thia. »Wie oft soll ich es noch wiederholen, damit du mir glaubst, dass ich es bin. Sag mir, was du willst, und dann verschwinde.«
»Aber … wie ist das möglich? Was ist mit dir geschehen?! Warum bist du jetzt ein Mann?«
»Das musste sein«, herrschte Thia sie an. Offenbar hatte Talki Wort gehalten und tatsächlich niemandem erzählt, was in Hundsgras vorgefallen war. Gut. Das würde Mithipha daran hindern, diese günstige Gelegenheit zu nutzen, um sie, Thia, loszuwerden. Wobei: Dieser Gedanke würde ihr vermutlich
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