Blitz: Die Chroniken von Hara 2
kümmern bräuchten. Obendrein war meine Vorgängerin gesundheitlich bereits zu angeschlagen, als dass ich sie mit deiner Person hätte behelligen wollen. Trotzdem habe ich dich etwa ein halbes Jahr im Auge behalten. Und mit der Zeit begriff ich, dass irgendetwas nicht stimmte.« An dieser Stelle erhob sich Ceyra Asani und ging langsam durch den Raum, wobei sie ihre Ausführungen fortsetzte: »Einmal hast du drei meiner Schwestern derart geschickt über deine Gabe hinweggetäuscht, als hätten diese noch nie etwas vom Funken gehört. Das habe ich noch einem Zufall beziehungsweise ihrer mangelnden Aufmerksamkeit zugeschrieben. Doch kurz darauf hast du ein paar der Handlanger von Yokh ausgeschaltet. Und zwar auf eine sehr … blutige Art. Das ließ mich aufmerken. Ich habe mich gefragt, ob dich deine Gabe verdorben hat, sodass du den lichten Funken nun in einer nicht statthaften Weise einsetzt. Dergleichen kommt immer mal wieder vor.« Die Mutter blieb stehen und fuhr mit der Hand über einen der Hauer der Wegblüte. »Dann starb jedoch die Mutter. Wie hätte ich dich, während es ihre Nachfolge zu klären galt, weiter beobachten sollen? Oder warum? Schließlich habe ich bis zu dem Zeitpunkt, da du mit einer einzigen Handbewegung den Schutzschild zweier Glimmender zerschlagen hast und ihr beide unsere Schwester umgebracht habt, nicht gewusst, über was für ein Potenzial du gebietest. Denn keine Autodidaktin – ich wiederhole: keine – vermag einen magischen Schutzschild zu zerfetzen, als wäre er aus Papier gefertigt. Dafür sind Zauber nötig, die sich niemand selbst aneignet. Dafür ist ein Lehrer nötig. Und, wie ich hinzufügen möchte, ein guter. Du hattest einen der besten, oder nicht?«
Lahen antwortete nicht auf die Frage, sondern schielte nur in meine Richtung und verwandelte sich wieder in ein Standbild.
»Nach diesem Mord hat man dich gesucht, aber du und dein Mann, ihr wart wie vom Erdboden verschluckt. Sämtlichen Spionen wart ihr immer einen Schritt voraus«, fuhr die Mutter fort. »Doch kommen wir zu deinem Lehrer zurück. Oder auch zu deiner Lehrerin. Natürlich habe ich darüber nachgedacht, wer dich ausgebildet haben könnte. Das Regenbogental schied sofort aus, denn alle Schreitenden, die dort ihre Ausbildung absolvieren, kenne ich bestens. Jede einzelne von ihnen ist dem Imperium treu ergeben. Abgesehen davon gleichst du weder einer Schreitenden noch einer Glimmenden. Du hast eine gänzlich andere Art, mit den Kraftströmen zu arbeiten.« Sie trat wieder neben ihren Lehnstuhl, setzte sich aber nicht. »Daraufhin habe ich vermutet, eine meiner durchtriebenen Schwestern habe dich in irgendeinem Provinznest aufgespürt und beschlossen, aus dir ein treues Hündchen für die eigenen Ziele zu machen. Schließlich wäre es nicht zu verachten, ein Stilett wie dich im Ärmel zu haben. Deshalb verfolgte ich eine Zeit lang eine falsche Fährte und versuchte, diejenige zu finden, die es gewagt hatte, sich eine Schülerin zu nehmen und dabei das Regenbogental zu umgehen. Ich brauche dir nicht zu sagen, dass auch dieser Weg in eine Sackgasse führte. Keines dieser Schäfchen« – das letzte Wort sprach sie in offener Verachtung aus – »hat von deiner Existenz auch nur etwas geahnt, bis ihr diesen legendären Mord ausgeführt habt. Deshalb musste ich alles noch einmal von Grund auf durchdenken. Dabei habe ich mich ganz auf den Mord selbst konzentriert. Und das brachte mich schon weiter. In dem Wasserfall aus Kraft habe ich nämlich einige Spuren herausfiltern können, die deine Gabe hinterlassen hatte. Danach schieden bestimmte Möglichkeiten ein für alle Mal aus. Weder eine Schreitende noch eine Glimmende hatte bei deiner Ausbildung die Hand im Spiel. Stimmt’s?«
Lahen ließ auch diese Frage unbeantwortet.
»O ja, das stimmt«, erklärte Ceyra mit kaltem Lächeln. »Denn dein Funke ist zu seltsam. Dieses goldene Geflecht ist wurmstichig. Es hat einen dunklen, sehr sorgfältig versteckten Fleck. Mit anderen Worten: Du vereinst in dir die lichte und die dunkle Gabe. Aber nicht eine der Schreitenden gebietet über den dunklen Funken. Damit konnte dich niemand aus dem Umfeld des Turms ausgebildet haben. Was jedoch siehst du, wenn du den Blick zum Horizont lenkst? Richtig. Sakhal-Neful und die Nekromanten aus Sdiss.«
Als ich diese Eröffnung hörte, blieb ich erstaunlich ruhig. Insgeheim hatte ich immer genau das vermutet: dass Lahen ihre Kunst unter Anleitung eines der Nekromanten gelernt hatte.
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