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Blitz: Die Chroniken von Hara 2

Blitz: Die Chroniken von Hara 2

Titel: Blitz: Die Chroniken von Hara 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexey Pehov
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Gläubigen und Wissenden den Weg weist und die Gesichter derjenigen erhellt, die selbst nach Jahrhunderten noch Achtung verdienen. Sein Licht vertreibt das Dunkel. Der Handschuh spürt die Gabe und leuchtet nur bei denjenigen, die über sie verfügen. Leider ist mein Funke zurzeit gebändigt, deshalb ist das Licht schwächer als sonst. Aber für unsere Zwecke dürfte es reichen.«
    Der Saal war insgesamt nicht sehr groß. Gleich hinter der Tür begannen quadratische Säulen, die sich bis zum anderen Ende der Wand zogen. Zwischen ihnen hingen Portraits in schweren goldenen Rahmen, die allesamt Frauen darstellten. Alte und junge, schöne und hässliche, Frauen aus dem Süden und solche aus dem Norden, dicke und dünne, blonde und schwarzhaarige. Es waren so viele, dass ihre Gesichter bald zu einem einzigen weißen Fleck vor meinen Augen verschwammen.
    »Das sind alle Mütter der Schreitenden, die es seit Bestehen des Turms gegeben hat«, erklärte Lahen. »Die Portraits wurden gemalt, nachdem sie gestorben waren.«
    »Es sind verflucht viele«, bemerkte ich, während mein Blick über die Gemälde glitt.
    »Der Turm existiert ja auch schon seit einer ganzen Weile«, erwiderte sie lächelnd und hob die Hand ein wenig, um die rechte Wand stärker zu beleuchten. »Hier, sieh!«
    Die vom Künstler eingefangene Frau war nicht mehr jung und hatte meiner Meinung nach ein ausgesprochen hässliches Gesicht. Schmale, verächtlich zusammengepresste Lippen, ein schiefer Mund, eine gerade Nase mit scharfen Flügeln, ein breites, quadratisches Kinn und eine tiefe Stirn. Ihre Miene wies sie nicht gerade als freundlichen Menschen aus. Eher als eine Frau, die die Macht liebte.
    »Wer ist das?«
    »Soritha.«
    »Pah! Die sieht aber ganz anders aus als jene junge, edle Unschuld, die im Saal mit den Schneeglöckchen zu sehen ist. Aber gut, da ist Typhus ja auch als gelbgesichtiges Scheusal dargestellt. War Soritha wirklich so hässlich?«
    »Das weiß ich nicht. Bilder, die noch aus dieser Zeit stammen, kannst du heute lange suchen. Die wenigen Kunstwerke, die überdauert haben, hält der Turm unter Verschluss. Und die Schreitenden selbst stellen Soritha natürlich nur in den allerhellsten Farben dar.«
    »Hat dir Ghinorha denn nichts über sie erzählt?«, fragte ich.
    »Doch, einmal. Aber dazu will ich erst kommen, wenn wir im nächsten Saal sind.«
    Ich warf einen letzten Blick auf die Schreitende, die durch Typhus’ Hände den Tod gefunden hatte, und folgte Lahen. »Und? Verrätst du mir, wohin wir gehen?«
    »In den Saal der Verdammten.«
    »Bitte?!«, fragte ich entsetzt zurück.
    »In den Saal der Verdammten«, wiederholte sie. »Ich möchte, dass du ihre Portraits siehst. Die echten, nicht die, die auf den Märkten zusammengeschmiert werden.«
    »Die echten Portraits?«, murmelte ich. »Hier im Turm …? Wurden die denn nicht vernichtet? Ich hätte angenommen, das wäre das Erste gewesen, was die Schreitenden nach dem Dunklen Aufstand getan haben.«
    »O nein, die Bilder gibt es noch«, erwiderte sie mit einem leisen Lachen. »Denn bei allem Hass auf die Verdammten hat sich am Ende doch ein kluger Kopf gefunden, der meinte, es sei wichtig, die Feinde von Angesicht zu kennen. Und nie zu vergessen, was geschehen ist. Aber wenn du mich fragst, suchen die Schreitenden diesen Saal noch seltener auf als den der Mütter.«
    »Aber sie wurde doch erst nach dem Krieg der Nekromanten geschaffen, oder?«, hakte ich nach. »Ich meine diese Portraitgalerie der Verdammten.«
    »Soweit ich weiß, ja.«
    »Wie konnte Ghinorha dir dann davon erzählen? Wenn sie doch schon vorher gestorben ist und sie nie zu Gesicht bekommen hat.«
    »Hab noch ein klein wenig Geduld, dann erzähle ich dir alles. Und warum sie von diesem Ort wusste … Ich nehme an, sie hatte ihre eigenen Möglichkeiten, das in Erfahrung zu bringen, was sie wissen wollte. Sie hatte jedenfalls immer genaue Kenntnisse von dem, was in unserer Welt vor sich ging.«
    Am anderen Ende des Saals blieben wir vor einer unscheinbaren, nicht sehr hohen Tür stehen, in deren Schloss ein kunstvoll gearbeiteter Schlüssel steckte. Lahen drehte ihn ohne zu zögern herum. Wir betraten eine beklemmend kleine Kammer, die jedoch im Unterschied zum Saal hell beleuchtet war. Lahen streifte den Handschuh ab und legte ihn behutsam auf einen lackierten Tisch aus Nussbaumholz, der neben der Tür stand.
    Ich sah mich erst einmal gründlich um: schmutzige Fenster, rote Wandbehänge und acht staubüberzogene

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