Blitz: Die Chroniken von Hara 2
Regentropfen vermischten sich mit dem Blut und rannen ihr über Lippen und Kinn.
»Was ist mit der Hexe?«, fragte ich. »Hast du sie getötet?«
»Das wäre wohl zu viel verlangt. Typhus ist mir entkommen.«
»Dann sollten wir weg von hier, ehe sie zurückkehrt.«
»Nein, das geht noch nicht. Lass mich erst mal verschnaufen. Hilf derweil Shen.«
»Wem bitte?!«
»Shen. Er liegt da drüben im Schlamm.«
»Hol mich doch das Reich der Tiefe! Wie kommt der denn hierher?«
»Das musst du ihn schon selbst fragen.«
»Bist du sicher, dass ich dich allein lassen kann?«
»Ja«, beteuerte sie und zog die Nase hoch. »Aufstehen kann ich zwar noch nicht, aber sitzen, das geht schon ohne deine Hilfe.«
»Ich bin gleich wieder da.«
Shens Gesicht war derart dreckverschmiert, dass jedes Schwein vor Neid geplatzt wäre.
»Sei gegrüßt, Ness«, sagte er und spuckte aus. »Lahen scheint heut ja eine Stinklaune zu haben.«
»Stimmt«, erwiderte ich. »Allmählich entwickelst du dich echt zur Klette. Wo auch immer wir hinkommen, ständig treffen wir auf dich.«
»Jeder tut, was er kann. Und ich gebe mir eben große Mühe, den Befehl der Mutter auszuführen.«
»Wie kommt dann diese Verdammte hierher?«
»Rein zufällig. Hilfst du mir aufzustehen? Bitte.«
»Ich kann nicht gerade behaupten, dass ich froh bin, dich zu sehen«, brummte ich, als ich ihm nach kurzem Zögern die Hand hinhielt.
»Das gilt umgekehrt ganz genauso. Wohin ist Typhus verschwunden? Ehrlich gesagt, habe ich kaum etwas mitbekommen.«
Wie auch – wenn du mit dem Gesicht im Dreck gelegen hast?
»Keine Ahnung. Aber ich hoffe, wir sehen sie so schnell nicht wieder. Und jetzt lass uns gehen. Du musst mir mit Lahen helfen.«
»Was habt ihr vor?«
»Aus Alsgara zu verschwinden.«
»Dann müssen wir in die andere Richtung.«
»Hast du auch das verschlafen, oder hat dir die Verdammte Typhus eins über den Schädel gezogen, bevor du im Schlamm gelandet bist?! Sämtliche Tore sind längst verrammelt. Ich will mir nicht mal ausmalen, was jetzt an den Außenmauern der Stadt vor sich geht. Nein, wir brauchen ein Schiff.«
»Damit würdest du nicht weit kommen.«
»Was schlägst du dann vor, du Schlauberger?!«, fuhr ich ihn an. »Das Meer ist unsere einzige Chance.«
Daraufhin erwiderte er kein Wort, und wir gingen zu Lahen.
»Wie fühlst du dich?«, fragte ich sie. »Kannst du gehen?«
Sie griff nach meinem Arm und versuchte aufzustehen. »Offenbar nicht«, stöhnte sie.
»Ich werde sie tragen«, erklärte Shen.
»Das übernehm ich!«, zischte ich.
»Nein, lass mich das machen, denn du wirst mit der Verdammten wesentlich besser fertig als ich.«
Er kramte in seiner Tasche herum und holte irgendein Leinenbündel hervor, dem er eine Pfeilspitze aus diesem weißen, knochenartigen Material entnahm.
»Meloth steh mir bei!«, stieß Lahen aus. »Hat dir Ceyra Asani die gegeben?«
»Das spielt ja wohl keine Rolle!«, grummelte er. »Aber wenn Typhus zurückkommt, können wir uns immerhin gegen sie wehren.«
Obwohl Lahen es missbilligte, setzte ich die Spitze auf einen Pfeilschaft auf. Kaum hatte ich das erledigt, trat ich gegen den Hilss, um ihn so weit wie möglich wegzustoßen.
»He!«, empörte sich Lahen. »Was soll das?«
»Ich rette dein Leben! Wenn du so weitermachst, dauert es nicht lange, und dein Weg endet nicht auf einem Schiff, sondern auf dem Friedhof.«
»Wenn Typhus noch in der Nähe ist, brauche ich den Hilss.«
»Damit du in den Glücklichen Gärten landest?«, knurrte ich, um dann ruhiger fortzufahren. »Bevor sie auch nur zum Schlag gegen uns ausholen kann, habe ich sie längst mit diesem Pfeil getötet.«
Das klang zwar überheblich, aber irgendetwas musste ich ja sagen – auch wenn ich wusste, wie dumm diese Worte waren. Wenn wir die Verdammte nicht hinterrücks erwischten, dann würde uns auch dieser magische Pfeil nicht retten. Um weiteren Streit zu vermeiden, setzte ich mich deshalb in Bewegung.
Shen folgte mir, Lahen auf seinen Armen tragend.
»Wenn du müde bist, sag mir Bescheid«, verlangte ich, ohne mich zu den beiden umzudrehen.
»Mhm.«
Wenn wir irgendwo mit einem Hinterhalt rechnen mussten, dann im nördlichen Teil des Hafens, in dem dicht an dicht verfallene Bauten standen. Hier könnte sich Thia bequem verstecken. Doch alles war ruhig. Anscheinend hatte die Verdammte tatsächlich das Weite gesucht. Seltsam. Nie im Leben hätte ich erwartet, dass wir sie derart mühelos los würden. Entweder war sie
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