Blitz: Die Chroniken von Hara 2
heiße Woge brandete gegen ihren Rücken – und der Flatterer stürzte ab. Die Dächer der Häuser drehten sich wie ein wahnsinniges Karussell, kamen mit jeder Sekunde näher und näher. Es hätte nicht viel gefehlt, und sie wären gegen den Meloth-Tempel geknallt. Als sie das Meer schon sahen, lief die Lebenszeit des Flatterers aus. Das Wesen aus dem Reich der Tiefe verwandelte sich zu Asche und überantwortete die Verdammte und den Heiler in einer Höhe von vierzig Yard über dem Boden ihrem Schicksal.
Die Vogelstadt lag im Sterben. An allen Ecken donnerte und blitzte es von der Magie der Glimmenden, der Schreitenden und der Nekromanten, in allen Straßen brannte es. Von überall her strömten Untote zusammen. Außerdem mussten sich Unmengen von Nabatorern in Alsgara breitgemacht haben. Einer von ihnen hielt uns offenbar für leichte Beute, doch Lahen zermalmte ihn an der nächsten Wand.
Trotz aller Gefahren brachten wir das Viertel der Ye-arre recht schnell hinter uns. Der Hafen empfing uns dann mit verblüffender Stille, fast, als wären wir auf einen aufgegebenen Friedhof geraten. Wir sahen weder Menschen noch die Monster der Sdisser. Nur in einer Straße lagen etliche Leichen. Ich zählte mehr als zwanzig tote Soldaten der Stadtwache. Um sie herum verteilten sich verbeulte und angekohlte Brustharnische sowie zerquetschte Körperteile. In einem Springbrunnen hatte Blut das Wasser rot gefärbt. An ihm lehnte ein mit Armbrustbolzen gespickter Nekromant. Bestens. Wenigstens dieser Kerl hatte sein Fett abbekommen.
Als unser Pferd den Geruch des Todes witterte, blieb es wie angewurzelt stehen. Da es sich strikt weigerte weiterzugehen, musste ich es am Zügel führen.
»Wir haben es fast geschafft«, sagte ich. Doch da sprang Lahen plötzlich aus dem Sattel. »He, wo willst du hin?!«
»Ich bin gleich wieder da«, antwortete sie und stürzte davon.
»Bitte nicht!«, stöhnte ich, als sie mit dem Hilss des Nekromanten zurückkehrte. »Was willst du denn mit dem Ding?«
»Für alle Fälle. Damit fühle ich mich sicherer.«
»Aber ich nicht. Dazu ist mir noch zu gut in Erinnerung, wie es dir in Hundsgras ergangen ist, nachdem du mit diesem Mistding herumgefuhrwerkt hast. Er trinkt dein Leben. Vielleicht tötet er dich sogar.«
»Wir müssen um jeden Preis aus der Stadt herauskommen. Wenn du glaubst, dass es mich begeistert, einen Hilss einzusetzen, dann irrst du dich gewaltig. Aber wenn es sein muss, werde ich genau das tun. Widersprich mir nicht! Als ob du nicht selbst wüsstest, dass wir keine andere Wahl haben.«
Gleich einer Katze verfügte Thia nicht nur über neun Leben, sondern auch über unfassbares Glück.
Als der Flatterer der Tiefe zu Asche zerfiel, blieb sie völlig ruhig. Dergleichen hatte sie schon einmal erlebt, im Krieg der Nekromanten, als sie nicht auf die Zeit geachtet hatte. Damals musste sie improvisieren. Auf diese Erfahrung konnte sie heute zurückgreifen.
Sie ließ vor sich und Shen etliche Schilde aus dicker Luft entstehen. Eins nach dem andern fing ihre Körper auf, bremste ihren Fall. Als sie beide landeten, hatten sie nicht mehr zu beklagen als ein paar unbedeutende Prellungen und verschmutzte Kleidung.
Thia spuckte aus, stemmte sich erst auf alle viere hoch, dann auf die Knie. Über ihr kreiselten, vermischt mit dem Regen, große schwarze Ascheflocken. Das war alles, was von dem Flatterer übrig geblieben war.
Dann hielt sie nach Shen Ausschau – und hätte beinahe vor Wut auf sich selbst losgeschrien. Über dem Absturz hatte sie völlig vergessen, seinen Funken unter Kontrolle zu halten. Das machte sich dieser sofort zunutze. In seinen blauen Augen glomm bereits ein gefährliches Feuer auf. Er rief seine Gabe an. Mit einem Mal fühlte sie sich wie gelähmt. Sie rechnete damit, dass der Heiler erneut mit einer Lanze aus blendendem Licht auf sie losging – doch nichts geschah.
Die Flamme in seinen Augen fand den Weg zu den Händen nicht, sondern erlosch wieder. Vor Wut und Enttäuschung brüllend fingerte er hektisch in der Tasche, die er über der Schulter trug.
Das ließ Thia wieder zu sich kommen. Sie riss ihm mit einem magischen Schlag die Beine weg. Shen landete bäuchlings im Schlamm, wo sie ihn, um sich für die ausgestandene Angst zu rächen, fest nach unten presste.
»Du enttäuschst mich«, knurrte sie, als sie an ihn herantrat. »Ich hatte wirklich angenommen, wir seien Freunde.«
Shen spuckte den Matsch aus und gab Thia in höchst unfeinen Worten zu
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