Blitz: Die Chroniken von Hara 2
verstehen, wohin sie sich ihre sogenannten Freunde stecken könne und was er mit ihr anstellen werde, sobald sich ihm eine entsprechende Möglichkeit böte. Abermals langte er nach seiner Tasche, abermals wurde er auf magische Weise daran gehindert
»Selbst wenn sich dir diese Möglichkeit böte, du
kannst
mir gar nichts anhaben, mein Junge«, erwiderte Thia. »Mehr als Wunden zu heilen und leichte Schmerzen zu lindern bringst du nicht zustande. Das habe ich dir bereits gesagt, aber ich wiederhole es gern noch einmal: Du bist ein Versager, der nicht richtig ausgebildet wurde. Und jetzt verrat mir mal, welches Geheimnis deine Tasche eigentlich birgt.«
Shen wünschte Thia erneut ins Reich der Tiefe. Oder an einen Ort, der nicht weit davon entfernt lag.
Der Junge hat Charakter, dachte Thia. Mit dieser Hartnäckigkeit würde er einen hervorragenden Magier abgeben. Bisher hatte ihn nur noch niemand angemessen ausgebildet. Damit bewies der Turm nur einmal mehr, dass er selbst das beste Material verhunzte. Sollte irgendjemand Gold in Sand verwandeln wollen, die Schreitenden würden das tadellos erledigen.
»Reiz mich nicht«, zischte sie. »Wenn du nicht zu gehorchen lernst, muss ich deinen hübschen Hintern eine Woche lang Rowan überlassen. Wenn er dich umschmiedet, wirst du auf ein Wort von mir hin durch die höchsten Lüfte fliegen – oder vor Kummer sterben, weil du mir meine Bitte nicht erfüllen kannst. Also, mein Junge, tritt unsere innige Freundschaft nicht mit Füßen. Das wäre sehr kurzsichtig von dir.«
Doch Shen gab nicht auf. Entweder hatte er nicht gehört, was sie gesagt hatte, oder ihre Drohungen waren ihm völlig einerlei. Als er abermals versuchte aufzustehen, nahm ihm Thia mithilfe ihrer Magie jede Bewegungsmöglichkeit.
»Warum weist du meine Freundschaft noch immer zurück? Das betrübt mich wirklich. Und das meine ich ernst. Denn da du dich weiterhin so stur stellst, habe ich keine andere …«
Sie brachte den Satz nicht mehr zu Ende: Jemand zog ihr mittendrin die Beine weg.
Als der Wind endlich den Geruch von Salz und Algen mit sich brachte, wusste ich, dass wir uns dem Hafen näherten. Vor uns ragten die baufälligen Speicherhallen auf, hinter ihnen toste das Meer. Lahen sprang aus dem Sattel, riss sich das schwarze Tuch, inzwischen nicht mehr als ein durchweichter Lappen, vom Kopf und warf es achtlos zur Seite.
»Das Pferd brauchen wir nicht mehr«, sagte sie.
»Besser, wir überstürzen nichts, schließlich werden wir es immer noch los«, widersprach ich und spähte um die Ecke eines Speichers. »Sieh mal da!«
Vor dem Lagerhaus zappelte ein dunkelhaariger Mann im Schlamm. Ein weiterer Mann hatte uns halb den Rücken zugekehrt.
Den
Kerl erkannte ich auf Anhieb wieder, auch wenn er sich seit unserer Begegnung in Psarky stark verändert hatte: Pork. Genauer gesagt diejenige, die jetzt über seinen Körper gebot. Die Verdammte Typhus.
Der Schädel am Hilss in Lahens Händen zerfloss, wurde kleiner und fauchte. Ich zog einen Pfeil aus dem Köcher.
»Lass mich das machen!«, verlangte Lahen.
Das Zwitterwesen aus Pork und Typhus wurde von den Beinen gerissen und acht Yard über den nassen Boden gefegt. Lahen fluchte. Etwas musste ihr missglückt sein. Die Verdammte sprang jedenfalls einigermaßen schnell wieder auf und schleuderte uns eine aus Nebel geformte Kugel entgegen.
»Geh hinter mir in Deckung!«, schrie mein Augenstern und packte den Hilss mit beiden Händen an einem Ende, fast wie beim Schlagball. Sie drosch derart auf die Nebelkugel ein, dass diese gegen die Speicherhalle knallte und ihre Wände mit Raureif überzog.
Was dann folgte, ließ sich nur als echter Wahnsinn bezeichnen. Es donnerte, zischte, knisterte und heulte. Explosionen, Dampf, Rauch, Kälte und Hitze wüteten – bis schließlich alles genauso überraschend endete, wie es angefangen hatte.
Wie durch ein Wunder waren wir noch am Leben. Vom Boden stieg Dampf auf. Alle Speicher um uns herum hatten sich in Ruinen verwandelt, etliche von ihnen standen in Flammen, ja selbst einige Zypressen etwas weiter hinten brannten trotz des Regens von den Wurzeln bis zur Spitze.
Die Verdammte Typhus war verschwunden. Ebenso wie unser Pferd.
Ich fing Lahen gerade noch auf, bevor sie mit leisem Stöhnen zu Boden fiel. Aus ihrer Nase tropfte Blut, die Haare hatten ihren Glanz verloren, unter ihren Augen lagen dunkle Ringe.
»Keine Sorge«, flüsterte sie und legte den Kopf in den Nacken. »Es ist alles in Ordnung.«
Die
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