Blitz: Die Chroniken von Hara 2
also längst nicht so gefährlich, wie alle sagten, oder Lahen war weitaus stärker, als ich gedacht hatte …
»Lahen! He, Lahen!«, erklang da hinter mir Shens Stimme. »Ness, sie hat das Bewusstsein verloren!«
Ich eilte zu ihm, und zusammen betteten wir Lahen auf den Boden. Bevor ich überhaupt etwas unternehmen konnte, hatte ihr Shen beide Hände auf die Stirn gelegt und bat mich mit geschlossenen Augen: »Behalt die Gegend im Auge. Ich versuche, ihr zu helfen.«
Während Lahen auf dem kalten Boden ruhte und der pladdernde Regen auf sie niederging, begann Shen mit der Heilung. Ich schielte nur mit einem halben Auge auf das, was er tat, während ich ansonsten nach ungebetenen Gästen Ausschau hielt.
»Das dürfte es gewesen sein«, stieß Shen schließlich aus.
Lahen war zwar noch immer bewusstlos, doch in die zuvor blassen Wangen war ein wenig Röte zurückgekehrt, außerdem atmete sie wieder tief und gleichmäßig.
»Sie schläft«, teilte mir Shen mit.
»Kannst du sie nach der Behandlung immer noch tragen?«
»Keine Sorge. Die Heilkunst raubt uns im Unterschied zur Magie des Todes kaum Kräfte. Außerdem: Hätten wir denn eine andere Wahl? Schließlich bin ich kein so guter Bogenschütze wie du.«
Mit einem Mal drang lautes Gedonner und panisches Geschrei heran.
»Was ist das?«
»Der Verdammte Schwindsucht, der mit seinen Dämonen die Stadt beschießt«, antwortete Shen. »Ich weiß nicht, wie viele dieser Kreaturen er schon nach Alsgara hineinkatapultiert hat, aber selbst Typhus ist denen lieber aus dem Weg gegangen …«
Ich nahm meinen Umhang ab und legte ihn um Lahen, auch wenn sie bereits selbst einen trug. »Dann nichts wie weg hier!«
Nachdem wir eine Lagerhalle umrundet hatten, die nie zu Ende gebaut worden war, schlug uns ein entsetzlicher Geruch in die Nase.
»Was ist das bloß für ein widerwärtiger Gestank?«, stieß Shen aus.
»Verfaulter Fisch, würde ich sagen.«
»Das müssten aber Berge von verfaulten Fischen sein … Oh!«
Durch den Sand zog sich eine breite Schleimspur. Was bedeutete das schon wieder? War hier eine gigantische Schlange entlanggekrochen?
Im Übrigen verströmte dieses Zeug den Gestank …
»Damit dürftest du wissen, was hier so stinkt.«
»Noch nicht«, murmelte Shen. »Schleim wie diesen habe ich nie zuvor gesehen.«
»Trotzdem wollen wir ihn nicht näher untersuchen. Wir können nämlich getrost darauf verzichten, uns noch mehr Schwierigkeiten aufzuhalsen. Also los, weiter!«
»Wenigstens einmal sind wir uns einig.«
Da die Schleimspur so breit war, dass wir nicht über sie hinwegspringen konnten, mussten wir durch diesen Glibber waten, der sofort an den Stiefeln festklebte. Ich dachte lieber nicht darüber nach, was für eine Kreatur hier langgekrochen war.
Dann sahen wir endlich das vom Regen aufgewühlte Meer vor uns und gelangten ans Ufer. Sofort konnten wir wieder frei durchatmen. Der kalte Wind und die Gischt wirkten wie ein Lebenselixier auf uns. Am Strand lagen Fischerboote, die im Laufe der Jahre dunkel geworden waren und offenbar noch nie einen frischen Anstrich erhalten hatten. Hundert Yard vor uns ragte ein verkohlter Klotz von erstaunlichen Ausmaßen auf, der schmauchte und auf dem an einigen Stellen eine violette Flamme züngelte. Als ich ihn genauer betrachtete, erkannte ich Arme, die sich im Todeskrampf verdreht hatten, etwas, das an einen buckligen Kopf erinnerte, sowie weit aufgerissene Mäuler mit scharfen Zähnen, in denen Feuer loderte.
»Hol mich doch das Reich der Tiefe! Was ist das denn?!«
»Frag das lieber Giss«, antwortete Shen, während er Lahen vorsichtig im Sand ablegte. »Das ist er doch, oder?«
Wo hatte ich eigentlich meine Augen? Da hatte ich mich derart auf das Untier konzentriert, dass ich für den Rest meiner Umgebung völlig blind gewesen war.
»Stimmt«, erwiderte ich. »Das ist er.«
Daraufhin suchte ich die Gegend mit meinem Blick aufmerksam ab, um mich zu überzeugen, dass nicht irgendwo weitere Dämonen, Untote oder Verdammte lauerten. »Bring Lahen zu den Booten«, sagte ich schließlich zu Shen.
Ich selbst ging auf Giss zu, der im Sand saß. Die Flamme, die das Monster von innen verzehrte, fauchte laut. Abermals stieg mir dieser Gestank in die Nase. Viel hätte nicht gefehlt, und ich hätte mich übergeben. Kurz bevor ich den Dämonenbeschwörer erreichte, drehte er sich zu mir um und nickte mir zu. Vor ihm lag Ashan im Sand. Tot.
»Das tut mir leid«, sagte ich.
Giss sah mich forschend an.
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