Blitz: Die Chroniken von Hara 2
eine Ohrfeige – wachte aber nicht auf. Das Untier war noch immer da. Außerdem bohrten sich jetzt Säulen gelben Lichts in die Wolken, legte sich dicker Rauch übers Ufer. Es blitzte, donnerte und heulte. Als sich der Rauch wieder lichtete, gab er den Blick auf das tote Monster frei. Der Mann saß reglos da, vor ihm im Sand lag der Junge. Ob dieser noch lebte oder nicht, war unklar.
Erneut donnerte etwas, diesmal jedoch in wesentlich größerer Entfernung, irgendwo hinter den alten Lagerhallen. Welches Unglück sich dort ereignet hatte, ließ sich von Deck aus nicht sagen – worüber die Matrosen allerdings keineswegs traurig waren.
Einige Seeleute beteten, andere fluchten leise, aber sie alle einte ein Wunsch: Bloß schnell den Anker lichten! Ein riesiger Stein zerstörte das Gebäude, in dem der Hafenmeister seinen Sitz hatte. Nun würde mit Sicherheit niemand auf die
Feuergeborene
achten. »Vorwärts, ihr Austern!«, schrie Dash aus voller Kehle. »Holt den Anker ein! Hisst die Segel! Macht zu, ihr Schlafmützen!«
»Kapitän«, sagte da der Steuermann, »wir kriegen Besuch!«
Ein Kahn fuhr auf sie zu, der auf den hohen Wellen hin und her geworfen wurde.
»Riuk!«, brüllte Dash. »Armbrüste!«
Diese ungebetenen Gäste würde er auf gar keinen Fall an Bord nehmen.
Während die Matrosen den Anker einholten, richtete Dash das Fernglas auf die drei Menschen in dem Boot.
»Beim großen Kraken«, stieß er aus, um sich dann Riuk zuzuwenden. »Runter mit den Armbrüsten! Das sind unsere dreimal vermaledeiten Passagiere!«
Als Lahen selbst am dritten Tag noch nicht aufwachen wollte, packte mich Verzweiflung. Unser Schlauberger Shen versicherte mir immer wieder, der Heiltraum dauere wesentlich länger als gewöhnlicher Schlaf, beruhigte mich damit aber auch nicht.
»Sie träumt und gesundet«, erklärte er mir zum wiederholten Mal, während ich durch unsere kleine Kajüte tigerte.
»Meinst du nicht, wir sollten sie allmählich wecken?«
»Das würde ich nicht empfehlen«, antwortete er nach längerem Nachdenken.
»Und warum bitte nicht?«, blaffte ich ihn an. »Kannst du mir wenigstens einmal eine Frage klar und präzise beantworten?!«
»Weil sie dann wahnsinnig werden könnte. Nachdem sie den Hilss eingesetzt hat, bedarf sie einer langen Phase der Erholung. Lass uns also lieber noch abwarten. Ich bin mir sicher, dass sie wieder völlig in Ordnung kommt.«
Immer dieselbe Leier. Inzwischen kannte ich diese Worte auswendig. Am liebsten hätte ich Shen in Grund und Boden gestampft, aber ich wusste, dass damit niemandem geholfen wäre. Aber wenn er nicht mal imstande war, die eigene Seekrankheit zu heilen, was sollte ich dann von ihm verlangen? Ich beschloss, noch einen Tag zu warten – und am nächsten Morgen wurde meine Geduld belohnt: Lahen erwachte.
Sie bedeutete mir mit einer Geste, dass sie etwas trinken wolle.
»Wie geht es dir?«
»So weit ganz gut«,
antwortete sie mir in Gedankensprache.
»Meine Kehle ist völlig ausgetrocknet. Deshalb kann ich nicht sprechen.«
Dann stürzte sie in gierigen Schlucken das Wasser hinunter.
»Wo sind wir?«, brachte sie schließlich heraus, sobald sie den Krug abgesetzt hatte.
»Kapitän Dash und seine Mannschaft waren so liebenswürdig, auf uns zu warten«, sagte ich grinsend.
»Du machst Witze!«, erwiderte sie. »Dieser Krake hat uns gesagt, er würde unter gar keinen Umständen auf uns warten. Die
Feuergeborene
müsste längst auf dem Weg in die Goldene Mark sein.«
»Offenbar gab es doch Umstände, aufgrund derer er warten musste«, erwiderte ich. »Ich habe keine Ahnung, was ihnen widerfahren ist, aber wir können nur froh darüber sein.«
Benommen schüttelte sie den Kopf. »Ich muss mich waschen. Und kämmen würde ich mich auch gern. Ich sehe hier zwar nirgendwo einen Spiegel, aber wahrscheinlich dürfte ich inzwischen eine vorzügliche Vogelscheuche abgeben.«
»Hast du denn ausgeschlafen?«
»Habe ich überhaupt geschlafen?«, fragte sie verwundert. »Aber … das muss ich wohl. Und anscheinend auch genug. Nehm ich jedenfalls an. Ich habe allerlei wirres Zeug geträumt. Da waren … grelle Farben … ein Feuer … ich glaube, in der Steppe … Flammen bis zum Horizont …«
»Aber jetzt fühlst du dich besser?«
»Ja, ich denke schon«, antwortete Lahen zögernd. »Was ist in der Zwischenzeit alles geschehen?«
Ich berichtete ihr in groben Zügen von Giss, Ashan, dem Dämon und davon, wie wir auf dieses Schiff gelangt waren.
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