Blitz in Gefahr
eine ferne Ödnis, über der kalte Sterne funkelten.
Alec war über sich selbst erzürnt. Was sollte denn das? War er ein Wirrkopf, der sich verzaubern und das Gehirn vernebeln ließ? Jetzt vernahm er wieder die quälend schrillen Pfeiftöne der Flöte. Alec grübelte, weshalb sie ihm so bekannt schienen, und gleich darauf kam ihm die Erleuchtung: Er hatte sie auf seinem Ritt hierher schon gehört und nicht gewußt, ob er sie einem ihm unbekannten Vogel zuschreiben sollte. Merkwürdig, diese Übereinstimmung! Was ging hier nur vor? Wirklich unheimlich. Der Angstschweiß brach ihm aus, er klammerte sich unwillkürlich ans Treppengeländer. Dann hörte die Musik auf. Im Augenblick, wo er das große Wohnzimmer betrat, gewann er seine Selbstbeherrschung zurück.
Der Hauptmann sah ihn forschend an, als wollte er feststellen, welche Wirkung seine Musik auf den jungen Mann ausgeübt hatte. Alecs Miene war ausdruckslos, aber de Villa brauchte bloß seine zu Fäusten geballten Hände anzusehen, um zu wissen, wie unsicher und verkrampft er war.
Alec spürte den lauernden Blick und öffnete die Fäuste. Es ärgerte ihn, daß er sich verraten hatte. Er schlenderte lässig zum Tisch und warf einen Blick auf die Beschriftung der Platte. »Das ist ja eine ganz und gar verrückte Musik! Wie ein Geisterspuk! So etwas höre ich zum erstenmal in meinem Leben«, sagte er.
»Die meisten Menschen finden sie beängstigend«, erklärte der Hauptmann mit seltsam tiefer Stimme, während er die Grammophonplatte auf ein Regal legte.
»Das wundert mich nicht«, murmelte Alec. Er sah jetzt zum erstenmal ein nervöses Muskelzucken an de Villas rechter Wange. Offensichtlich war er durchaus nicht so gelassen, wie er sich den Anschein gab. Alec suchte seine Augen.
»Obwohl ich einen entscheidenden Anteil an ihrem Entstehen gehabt habe, gibt es Stunden, in denen diese Musik sogar mich ängstigt!« De Villa lächelte flüchtig, legte seine Hand auf Alecs Arm und geleitete ihn zu einem der hochlehnigen Stühle vor dem Kamin.
Alec war tief beeindruckt. »Wie denn — Sie komponieren auch?« Diese Musik war sicherlich eher quälend als schön, aber man mußte anerkennen, daß sie außergewöhnlich und unvergeßlich war.
»O nein, das nicht«, wehrte der Hauptmann ab und zündete die von der Decke herabhängende Petroleumlampe an. »Es ist das einzige Musikstück, das ich erfunden habe, und es geschah durch Zufall. Nein! >Zufall< ist ein falsches Wort: äußerst seltsame Umstände gaben den Anlaß zu seiner Entstehung. Interessiert es Sie, zu erfahren, wie es geschah?«
Alec spürte, daß der Hauptmann das Bedürfnis hatte, zu sprechen, und ohnehin fortfahren würde; trotzdem nickte er auffordernd. Einige Sekunden vergingen, ehe de Villa zu erzählen begann: »Ich habe kein besonders musikalisches Talent, aber ich legte, wie die meisten Artisten, die im Zirkus auftreten, stets größtes Gewicht auf die Begleitmusik zu meinen Dressurakten.« Seine dunklen Augen starrten ins Leere. »In vielerlei Hinsicht ist die Begleitmusik außerordentlich wichtig, fast so wichtig wie die Darbietung selbst, denn sie soll sowohl den Vorführenden als auch sein Publikum in die richtige Stimmung und Spannung versetzen. — Vor Jahren hatte ich in Paris einen Freund, der als Musiklehrer tätig war und auch viel komponierte. Ich erzählte André von meiner neuen Nummer mit Silberfee und bat ihn um eine musikalische Untermalung, die meiner Stute die notwendigen Zeichen zum Einsatz für ihre verschiedenen Figuren geben und gleichzeitig eine unwirkliche, geisterhafte Stimmung erzeugen sollte, denn Silberfee trat ja allein, ohne Reiter, als das >Geisterroß< auf...« Er richtete die durchdringenden Augen auf Alec, um die Wirkung der letzten Worte zu beobachten.
»Ohne Reiter?« wiederholte Alec ungläubig, »ohne die Hilfen Ihrer Hände und Beine? Das ist doch wohl nicht möglich!«
Der Hauptmann nickte lächelnd und fuhr mit sichtlichem Stolz fort: »Es ist möglich! Die Musik gibt ihr die Zeichen. Die Dressur war nicht leicht und hat Zeit gekostet, aber wir haben es fertiggebracht. Silberfee arbeitet, auf sich allein gestellt, ohne Sattel und Zaumzeug im Licht eines Scheinwerfers in der Manege, während der übrige Zirkusraum abgedunkelt bleibt. Dazu ertönt diese Musik, die das Publikum in Bann schlägt — es ist sehr wirkungsvoll!«
»Das glaube ich gern«, sagte Alec voller Bewunderung.
»Meinen Sie, daß das >Geisterroß< unter dieser Bezeichnung auch Ihren
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