Blitz schickt seinen Sohn
daß er ihm das meiste verschwieg, weil es unerfreulich war. Erst der letzte Brief, der kurz vor seiner Abreise eingetroffen war, hatte eine Nachschrift enthalten, die jeden Zweifel an seinen schlimmen Ahnungen beseitigte.
Diesen Brief nahm Alec jetzt aus dem Päckchen, um die Nachschrift noch einmal zu studieren. Sie lautete: »Ich lege dir eine Momentaufnahme von Vulkan bei; sie wird Dir zeigen, daß er sich während Deiner Abwesenheit enorm entwickelt hat. Er wird ein sehr großes Pferd werden, wahrscheinlich noch größer als Blitz, denn er ist starkknochig und hat einen ungemein kräftigen Körperbau. So schön wie Blitz scheint er allerdings nicht zu werden; es wird sogar Menschen geben, die ihn wegen seiner Wuchtigkeit als häßlich bezeichnen... Seiner Vor- und vor allem seiner Hinterhand nach zu urteilen, wird er so schnell werden, wie wir ihn uns wünschten; aber er ist sehr, sehr schwierig zu behandeln, Alec. Es wird viel Zeit kosten, ihn zu trainieren...«
Alec nahm das Bild, das Henry dem Brief beigefügt hatte, und betrachtete es wieder einmal ganz gründlich. Dabei wich die Traurigkeit aus seinem sommersprossigen Gesicht. Zweifellos, Vulkan würde sehr groß und sehr stark werden. Die herrlich modellierte Gestalt seines Vaters hatte er aber nicht. Sein Kopf war zwar ebenfalls klein und edel, aber er war breiter als der von Blitz; der Hals war kompakter, die Ohren schwerer. Häßlich konnte man ihn aber ganz sicher nicht nennen, denn der riesige Körper zeigte in faszinierender Weise irgendwie sein vulkanisches Temperament, sein Feuer und seinen Mut. Alec war sich bewußt, daß es galt, diese geballte Kraft zu bändigen, unter Kontrolle zu bekommen, wenn Vulkan jemals völlig sein Pferd werden sollte. Aber er hegte noch immer die Hoffnung, daß es ihm eines Tages gelingen würde, Vulkans Zuneigung zu gewinnen. Dann würde alles in Ordnung sein.
Als der Zug hielt, nahm Alec seinen Koffer aus dem Netz und reihte sich zwischen die Reisenden ein, die sich langsam hinausschlängelten. Auf dem Bahnsteig beschleunigte er seine Schritte. Die große Bahnhofsuhr zeigte bereits Mitternacht; also hatte der Zug dreißig Minuten Verspätung gehabt. Er brauchte jetzt noch drei Viertelstunden, bis er in Flushing anlangte. Ob wohl seine Eltern aufgeblieben waren? Und Vulkan! Er mußte den Unband unbedingt sofort begrüßen.
Mit der Untergrundbahn hatte er Glück; gerade fuhr ein Zug in Richtung Flushing ein. Er rannte, um ihn zu erreichen, stieg ein, setzte sich in eine Ecke und gab sich wieder den Gedanken an sein Pferd hin. Henry hatte in seinen Briefen mehrmals geschrieben, daß noch viel Zeit vergehen würde, ehe man Vulkan trainieren könnte. Was meinte er damit? Monate? Jahre? Führte sich denn Vulkan so schlecht auf, daß Henry an der Möglichkeit zweifelte, ihn als Zweijährigen für die Rennbahn bereit zu haben? Den Trainingsregeln entsprechend hatten sie sich vorgenommen, daß Alec im kommenden Sommer beginnen sollte, Vulkan einzureiten; im Herbst und im Winter — um seinen zweiten Geburtstag herum — sollte dann mit dem Arbeitsgalopp auf der Rennbahn begonnen werden. Wenn alles gutging, wollten sie ihn hernach in dem berühmten Zweijährigenrennen »The Hopeful — Die Hoffnungsvollen« zum ersten Mal herausbringen. Es wurde in Belmont gelaufen.
Als die Untergrundbahn Flushing erreicht hatte, wartete Alec in der kalten Nachtluft ungeduldig auf den Bus, der ihn bis zu seinem Viertel beförderte. Angelangt, eilte er mit großen Schritten die verschneite Straße entlang, die Augen schon auf das Stallgebäude gerichtet, das sich dunkel von dem weißen winterlichen Hintergrund abhob. Um schneller vorwärts zu kommen, folgte er den in den Schnee gedrückten Radspuren der Automobile mitten auf dem Fahrdamm bis zu seinem Elternhaus. Im Wohnzimmer sah er Licht; also hatten die Eltern tatsächlich auf ihn gewartet! Sein Blick flog wieder zu dem Stall hinüber, während seine Finger in der Manteltasche nach dem Haustürschlüssel griffen. Aber es würde ja nur ein paar Minuten dauern; ein einziger schneller Blick auf Vulkan, das war alles, was er wünschte — Vater und Mutter würden Verständnis dafür haben!
So schnell es ging, bahnte er sich einen Weg durch den Schnee bis zu dem eisernen Tor. Das Tor quietschte, als er es öffnete, wie immer bei Frostwetter. Durch fast kniehohen Schnee mußte er auf dem Anfahrtsweg bis zum Stall waten. Beim Eintreten knipste er das Licht an. Als er an Napoleons Box
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