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Blitz schickt seinen Sohn

Blitz schickt seinen Sohn

Titel: Blitz schickt seinen Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Farley
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vorüberkam, flüsterte er dem guten, alten, ihm zuwiehernden Wallach nur schnell zu: »Bleib liegen! Schlaf weiter! Morgen begrüße ich dich!« Dann ging er langsam weiter zu Vulkans Box. Das Fohlen war hellwach und hatte den Kopf über die Tür gehängt; der weiße Spitzstern auf seiner Stirn hob sich scharf von dem lackschwarzen Fell ab. Beider Blicke trafen sich und hielten sich für Sekunden; dann zog sich das Pferd unwillig schnaubend zurück.
    »Ich bin’s doch, mein Junge! Erinnerst du dich denn nicht?« Alec lehnte sich an die Tür der Box, und während er sanft zu dem Fohlen sprach, musterte er es mit begierigen Augen: von den schweren Ohren, die jetzt flach an den Kopf zurückgelegt waren, bis zu den mächtigen Schenkeln. Da ist kein Zweifel möglich, dachte er, Vulkan wächst zu einem sehr großen, schweren Pferd heran. Er würde mindestens so groß werden wie Blitz, vielleicht sogar noch größer und schwerer. Wenn er sich an den wundervollen schlanken Körper von Blitz erinnerte, schien es ihm allerdings nicht sicher, ob der wuchtige Sohn dieselbe Schnelligkeit erreichen würde wie sein Vater. Das konnte allein die Zeit lehren.
    Da er einmal hier war, konnte er es sich nicht versagen, in die Box hineinzuschlüpfen. Wohlweislich hielt er sich eng an die Wand gedrückt, bewegte sich langsam und ohne Furcht, doch keinen Blick von dem unberechenbaren Burschen wendend. Im Schein des Lichtes glänzte Vulkans Fell wie Ebenholz. Alec fand ihn schön mit seinen tiefgestellten blitzenden Augen. Er wunderte sich, daß Henry gemeint hatte, manche Leute würden ihn vielleicht häßlich finden. Beim Anblick seiner gewaltigen Sehnen und Muskeln aus der Nähe glaubte Alec jetzt doch daran, daß er später einmal so schnell werden würde wie Blitz. Sein Herz tat einen Sprung vor Entzücken, als er seine Aufmerksamkeit noch einmal Vulkans Kopf zuwandte, denn mehr als alles andre erinnerte dieser ihn an den Vater. Der Kopf und die feingezeichnete Halslinie offenbarten das Erbe seiner reinblütigen Ahnen.
    Vulkan zitterte, als Alec sich ihm mit freundlichen Worten näherte. Er mußte schnell vorspringen, denn das Pferd keilte mit den Hinterhufen auf ihn zielend aus. Als sie wieder auf den Boden kamen, stand Alec bereits an seinem Kopf und hielt ihn am Halfter. »Du hast wohl ganz vergessen, daß du mir dasselbe Theater schon vor drei Monaten vorgespielt hast!« flüsterte er. »Du bist mein Pferd und mußt nun endlich lernen, dich entsprechend zu benehmen!« Er blieb lange so stehen und streichelte Vulkans Hals, immer hoffend, die wütende Erregung des Tieres würde sich legen. Aber die Minuten vergingen, und er fühlte den mächtigen Körper unentwegt unter seinen Händen zittern. »Na, gut denn, mein Freund!« sagte er schließlich, »morgen sprechen wir uns wieder!«
    Ohne Furcht, jedoch der in den drei Monaten enorm gewachsenen Kräfte des Pferdes eingedenk, führte Alec es zur Boxentür, wo er den Halfter losließ und blitzschnell hinausflitzte — nicht eine Sekunde zu früh, denn Vulkan schlug mit der Schnelligkeit einer auf ihr Opfer vorschnellenden Schlange mit den Vorderhufen nach ihm und verfehlte ihn nur um Haaresbreite; seine Hufe krachten gegen die Latten der Boxentür. Alecs Gesicht war blaß und traurig, als er den Riegel vorschob und sich noch einmal zu Vulkan umdrehte, dessen kleine Augen rot leuchteten. Er bleckte die Zähne, und seinen mächtigen Körper überflogen Schauer bebender Wut. Alec beobachtete die Augen, die ihn an die von Blitz erinnerten; nur loderte etwas in ihnen, was in dessen Augen niemals zu sehen gewesen war. Es verursachte ihm Unbehagen, aber er schüttelte das Gefühl gewaltsam von sich ab. Trotz allem würde er Vulkan eines Tages erobern und zu seinem Pferd machen!
    Bei der Arbeit würde er Vulkan fortan scharf beobachten müssen, denn er war inzwischen so kräftig geworden, daß er mit seinen Hufen Unheil anrichten konnte. Alec wunderte sich, wie der alte Henry mit diesem Unband zuwege gekommen war. Wenn er sich ständig so aufführte wie heute nacht, hatte er es sicher sehr schwer mit ihm gehabt.
    Alec vergewisserte sich noch einmal, ob er auch die Boxentür fest verriegelt hatte. Dabei entdeckte er eine lange, dünne Eisenkette, die am Eingangspfosten hing. Er fuhr mit der Hand darüber und betastete nachdenklich die eisernen Glieder. Die Kette hatte nicht hier gehangen, als er vor drei Monaten weggefahren war... Was tat sie hier? Er betrachtete noch einmal die kurzen

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