Blitz schickt seinen Sohn
daß er sehr schlecht geträumt hatte, von Vulkan, der ihn nicht in den Sattel lassen wollte, sich bäumte und schrie... Da hörte er den wilden Schrei in der Ferne, und diesmal war es kein Traum! Sogleich sprang er aus dem Bett und lief ans Fenster. Einen Augenblick glaubte er Vulkan weit hinten auf dem Rand der Senke stehen zu sehen, doch nahmen ihm die Bäume im Vorgarten die Sicht; er konnte sich täuschen. Stolpernd rannte er zu seinem Schrank, zog sich an, so schnell es ging, und lief, von Sebastian gefolgt, hinaus. Er mußte langsamer gehen, als er die Treppe erreicht hatte. Leise stieg er die Stufen hinunter, öffnete die Flurtür, betrat die Veranda und rannte durch den Vorgarten. Erst als er auf der Straße war, zwang er sich zu einem ruhigen Spazierschritt. Wahrscheinlich war im Stallgelände gar nichts los, beruhigte er sich selbst; es würde ihm aber schaden, wenn er hastete und sich nach der mehrtägigen Bettruhe gleich anstrengte. Für heute hatte der Arzt ihm allerdings erlaubt aufzustehen, aber er hatte ausdrücklich gesagt, daß er sich zunächst schonen müsse. Der Traum hatte ihn aufgeregt — und als er dann Vulkan tatsächlich schreien hörte, hatte er den Kopf verloren. Dumm, daß er sich nicht besser in der Gewalt hatte.
Alec spähte über das Feld, als er sich dem Stall näherte. Befremdlicherweise konnte er aber Vulkan nirgends entdecken. Von neuer Besorgnis befallen, betrat er den Stall, wo er feststellen mußte, daß des Hengstes Box leer war. Er verließ den Stall und suchte das ganze Gelände ab, besonders in Richtung der Senke, denn das war der einzige Fleck, an dem Vulkan sich aufhalten konnte, wenn man ihn vom Stall aus nicht sah... es sei denn, er wäre über den Zaun gesprungen und entflohen. Jetzt erregt, rannte Alec zu dem Holztor, schlüpfte hindurch, rannte weiter. Sebastian war ihm gefolgt und strich jetzt um ihn herum. Alec blieb stehen, er hatte den Hund vergessen gehabt. Ihn auf die Suche nach Vulkan mitzunehmen kam nicht in Frage. Alec pfiff, aber Sebastian kehrte sich nicht daran; er rannte plötzlich zielbewußt in der Richtung auf den alleinstehenden Baum am Rand der Senke. Ärgerlich pfiff Alec noch einmal; dann folgte er dem Hund, so schnell er konnte. Plötzlich blieb Sebastian stehen und winselte. Alec erblickte eine dunkle Gestalt, die unbeweglich am Fuß des Baumes lag. Als er nahe genug war, um zu erkennen, daß es Henry war, stockte ihm fast das Blut in den Adern. Was, um Himmels willen, war geschehen? Wo war Vulkan?
Alec kniete neben seinen alten Freund nieder, der mit dem Gesicht der Erde zugekehrt lag. Erschreckt sah er, daß Henrys Kleider zerrissen und seine Hände blutig waren. Er drehte den Körper behutsam auf den Rücken, in großer Angst, was er zu sehen bekommen würde. Henrys Gesicht war geisterhaft bleich, aber als Alec ihn berührte, öffneten sich dessen Augen. »Henry«, rief der Junge, »was ist bloß passiert? Bist du schwer verletzt?« Er fragte in tiefster Besorgnis, und sein Gesicht war ebenso blaß wie das Henrys.
»Ich mußte es tun«, flüsterte Henry, »es blieb kein andrer Weg.«
»Was mußtest du tun?« fragte Alec mit zitternder Stimme. »Was hat dich so zugerichtet? Wo bist du denn verletzt?« Er half Henry, sich aufzusetzen, und lehnte ihn mit dem Rücken gegen den Baumstamm.
Der alte Mann stammelte: »Ich bin nicht verletzt... Vulkan hat mich ausgepunktet... Aber ich... habe ihn getötet, Alec. Ich habe Vulkan umgebracht!«
Alec starrte ihn an; er glaubte seinen Ohren nicht zu trauen. Dann sah er sich um und entdeckte die um den Baumstamm gespannten Riemen; sein Blick folgte ihnen bis zum Zaun, über den sie liefen und hinter dem sie verschwanden. Er schloß die Augen und biß sich auf die Lippen. Tieftraurig fragte er dann mit erstickter Stimme: »Er ist tot? Großer Gott
— tot, Henry?«
Des alten Trainers Augen senkten sich vor denen des Jungen. »Er ist gesprungen«, sagte er leise, »mit den zwei Lassos um den Hals und den Kopf... Ich wollte ihn brechen, Alec, wie man es macht, wenn ein Pferd absolut nicht zu zähmen ist... Aber ich habe mich geirrt, ich konnte ihn nicht unterkriegen.«
Ohne ein weiteres Wort sprang Alec auf und ging zu den Lassos. Er stand einige Sekunden daneben, als fürchte er sich, sie zu berühren; dann unterbrach Sebastians lautes Gebell die Stille, und Alec sah ihn vor dem Zaun stehen. Da kam wieder Leben in den Jungen. Warum hielt er Henrys Worte für wahr, konnte der erschöpfte alte Mann
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