Blitze des Bösen
Rost des Fahrstuhlbodens auf den immer weiter
entschwindenden Betonboden, auf dem das Gerüst des
Wolkenkratzers stand.
Mit jeder Etage, die sie höher stiegen, wuchs seine Übelkeit.
Plötzlich hielt der Aufzug an, und Glen fühlte einen Moment
lang nur nackte Angst.
Sie steckten fest, saßen in der Falle! Wilde Verzweiflung
überkam ihn, und sein Blut pochte ihm in den Ohren. Die
Stimme des Arbeiters hörte er wie aus weiter Entfernung:
»Die Stromversorgung«, verkündete der Mann, »hier muß
ich raus.«
Die Stromversorgung. Sie waren im dreizehnten Stockwerk,
bemerkte Glen. Hier waren die Versorgungsanlagen, mit denen
später das ganze Gebäude in Betrieb gehalten werden sollte.
Keine Sekunde zuvor hätte Glen noch geschworen, daß sie
schon viel höher waren.
Lächerlich!
»Ich glaube, ich fahre ganz nach oben«, sagte er, zwang sich
dazu, ganz sachlich zu klingen und hoffte, seine Stimme würde
nicht seine Aufregung widerspiegeln.
Der Arbeiter zögerte, und Glen wußte instinktiv, daß sich der
Mann daran erinnerte, was ihm bei seinem letzten Besuch auf
der Baustelle passiert war. »Wollen Sie, daß ich mit Ihnen
fahre?« fragte er.
Glen schüttelte den Kopf. »Nein, danke. Mir geht’s wieder
gut.« Aber nachdem der Bauarbeiter ausgestiegen war und der
Aufzug weiter quietschend nach oben rumpelte, fragte er sich,
ob das auch stimmte. Als der Fahrstuhl schließlich kurz darauf
anhielt, wurde ihm endgültig bewußt, daß es nicht so war.
Fest entschlossen, die Furcht zu bezwingen, die ihn fast
erstarren ließ, öffnete Glen die Tür und stieg aus. Die Plattform
um den Schacht herum war seit seinem letzten Besuch
vergrößert worden. Ein breiter Weg aus dicken Holzbohlen
erstreckte sich bis zur Ecke des Gerüstes. Wenn er in der Mitte
des Weges stünde, wäre er vollkommen sicher.
Er holte tief Atem und ging nach vorn. Er redete sich ein,
daß es nichts ausmache, daß es keine Handläufe gab, ja daß es
überhaupt nichts gab, auf das er sich stützen konnte. Als er
noch fünf Schritte von der Ecke entfernt war, hielt er an.
Das unangenehme Gefühl im Magen nahm bedenklich zu,
und das Atmen fiel ihm schwer.
Sein Herz schlug zwar rasch, hämmerte aber nicht. Auch von
den Schmerzen in der Brust und im linken Arm wie kurz vor
seinem Herzanfall war nichts zu spüren.
Es kam nur darauf an, noch wenige Schritte zu machen.
Er richtete seinen Blick fest auf die Stahlträger, die bald
schon die Außenverkleidung tragen würden. Er wußte, daß er
es geschafft hatte, wenn er einen davon berühren würde und
ging weiter.
Ein Schritt. Dann noch einen. Und noch einen.
Er griff nach dem kalten Stahl eines Doppel-T-Trägers und
tastete sich bis zur Ecke vor.
Jetzt wurde ihm schwindlig, aber er kämpfte mit wilder
Entschlossenheit weiter gegen die aufkommende Panik an.
Es ging nur noch darum, nach unten zu sehen – ein einziger
Blick auf den Bürgersteig vierzig Stockwerke tiefer, und er
hatte es geschafft.
Langsam schob er sich nach vorn und blickte hinunter.
Schlagartig spürte er, wie ihn der gähnende Abgrund nach
draußen, nach unten zog. Er lehnte sich ein wenig vornüber,
und der irrsinnige Drang, hinabzuspringen ergriff ihn. Er
konnte förmlich spüren, wie der Wind hinter ihm herheulen
würde, wenn er sich fallen ließ, hatte schon eine Vorahnung
von der Schwerelosigkeit, die er während des Fallens fühlen
würde.
Er mußte dem einfach nur nachgeben.
Wie in Trance spürte er, daß seine Finger ihren Griff lockerten, daß er sich über den Abgrund lehnte, daß der Schwindel
über ihn kam.
Nein!
Der barsche Befehl kam aus dem Nichts, vertrieb die Panik,
die seinen Verstand umnebelt hatte. Instinktiv drehte er sich
um, schaute über die Plattform und suchte nach der Person, die
seinen schrecklichen Trancezustand durchbrochen hatte.
Es war niemand da.
Aber die Stimme meldete sich wieder: Runter! Sofort!
Glen gehorchte und ging zurück zum Aufzug. Aber als er
diesmal die Plattform betrat, war keine Spur von Unsicherheit
in seinen Schritten, kein Schwindel in seinem Hirn, keine
Übelkeit im Magen.
Und kein Bewußtsein von dem, was er tat.
44. Kapitel
Heute morgen fühlte sich der Experimentator wohl. Zum ersten
Mal fühlte er sich wirklich stark, stark genug, Glen nicht mehr
schlafen schicken zu müssen.
Schon gestern, als Glen aufzuwachen begann, während der
Experimentator an der Katze herumhantierte, hatte er nicht
ernsthaft versucht, ihn bei der Arbeit zu stoppen.
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