Blitze des Bösen
überhaupt nichts von der Nachricht erwähnt. Aber sie war zu
wichtig, um sie ihm vorzuenthalten. »Warum auch nicht?
Schließlich war er den ganzen Tag daheim.« Sie räusperte sich
und sprach leise weiter: »Ich habe sogar das ganze Haus
durchsucht, nach Hinweisen geforscht, ob jemand anderes
dagewesen ist.«
»Aber Sie haben nichts gefunden«, vermutete Blakemoor.
Anne schüttelte den Kopf. »Und wie geht’s jetzt weiter?«
»Wie immer in einem solchen Fall.« Obwohl sie diese Worte
schon so oft gehört hatte, lief ihr diesmal ein kalter Schauer
über den Rücken. »Wir halten die Augen offen, obwohl es
nicht viel gibt, woran wir uns halten können.«
»Deshalb warten wir, bis er wieder jemanden ermordet und
hoffen, daß er das nächste Mal einen Fehler macht.«
Blakemoor nickte, erwiderte aber nichts. Die Stille zwischen
ihnen hielt an, bis Anne sie nicht mehr ertragen konnte.
»Was ist, wenn er mich umbringt?« fragte Anne und stand
auf. »Mich oder jemanden aus meiner Familie?«
Ohne darüber nachzudenken, was er tat, legte Blakemoor
spontan seinen Arm um sie. »Sie wird er nicht umbringen«,
sagte er. »Dafür werde ich schon sorgen.«
Einen Moment lang kämpfte Anne gegen das plötzlich
übermächtig werdende Gefühl an, sich an dem Kommissar
festzuhalten. Dann löste sie sich von ihm, nahm ihren Mantel
und ihre Tasche. Schweigend verließen beide das Büro des
Gutachters.
43. Kapitel
Schon in dem Moment, als er aufwachte, wußte Glen Jeffers,
daß etwas nicht stimmte. Es war ein Gefühl, das seinen ganzen
Körper durchströmte – das Gefühl, sein Bewußtsein läge noch
im Halbschlaf, obwohl er hellwach war. Er hatte die ganze
Nacht durchgeschlafen und fühlte sich immer noch wie
ausgepumpt. Warum war er bloß immer so müde, obwohl er
seit seiner Rückkehr aus dem Krankenhaus nichts anderes
getan hatte, als sich auszuruhen?
Die Wahrheit war, daß er sich schrecklich langweilte. Er war
sein ganzes Leben lang aktiv gewesen, hatte am frühen Morgen
zusammen mit Anne gejoggt, lange Tage im Büro verbracht,
war dann nach Hause gekommen, wo er bis in die Nacht noch
an seinem Zeichentisch saß. Und im Sommer, wenn die Tage
lang waren, hatte er im Park mit Kevin Ball gespielt.
Zum Müßiggang war er einfach nicht geschaffen. Und heute
morgen, nachdem Anne und die Kinder schließlich das Haus
verlassen hatten, war ihm fast die Decke auf den Kopf gefallen.
Er kam sich in diesem Haus völlig eingepfercht vor, dachte er,
als er anfing, die Küche aufzuräumen. Aber es war noch mehr.
Ihm schien, als herrsche in seiner Seele ein völliges
Durcheinander. Kurz bevor er heute morgen aufgewacht war,
hatte er einen Traum gehabt – einen dieser halben
Wachträume, in denen einem auf unerfreuliche Weise klar
wird, daß man träumt, man aber trotzdem machtlos ist,
gegenüber den unwillkommenen Bildern, die vor einem Revue
passieren.
Diesmal war es ein kunterbunter Wirrwarr verschiedener
Szenen gewesen: Joyce Cottrell und Kumquat waren darin
vorgekommen – und Mark Blakemoor, der ihn ansah, als hätte
er nicht nur die Katze seiner Tochter, sondern auch noch seine
Nachbarin ermordet. Als Glen wachgeworden war, hatte er sich
von Tod und Gewalt bedroht gefühlt. So ähnlich war es ihm
auch damals ergangen, als Anne sich so intensiv mit den
Kraven-Morden befaßt hatte.
Das war noch so eine Sache, die ihm zu schaffen machte.
Der Fall Kraven hätte eigentlich nach dessen Hinrichtung
längst abgeschlossen sein müssen, aber er schien wieder an
Aktualität zu gewinnen. Anne suchte bereits nach einer Verbindung zwischen Kraven und den beiden Mordfällen der
letzten Tage, und wie er Anne kannte, würde sie eine finden,
egal wie unglaubwürdig sie auch sein mochte.
Als er mit der Küchenarbeit fertig war, ging Glen ins
Arbeitszimmer: Vielleicht sollte er sich vor das Zeichenbrett
setzen – natürlich nicht, um zu arbeiten, nur um etwas zu skizzieren und nachzudenken, um herauszufinden, ob er noch
Ideen hatte. Bevor er aber an seinem Zeichentisch war, fiel sein
Blick auf eine dicke Akte, die auf Annes Pult lag.
Es war die Akte Richard Kraven – die ihm Kevin ins Krankenhaus hatte bringen müssen.
Warum hatte er das von ihm verlangt? Im Moment konnte er
sich nicht einmal mehr daran erinnern, das Material gelesen zu
haben. Er blätterte einige Seiten der Akte durch, aber nichts
darin kam ihm so bekannt vor, als ob er es erst kürzlich gelesen
hatte. Und heute morgen hatte
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