Blitze des Bösen
sich an das Erlebnis vor zwei Tagen, als er
sich eingebildet hatte, den nackten Körper einer Frau anzustarren und hilflos dabei zuzusehen, wie er ihre Brust aufschnitt.
Ihr Herz? Hatte er ihr Herz herausgenommen? Sein Magen
drehte sich mit Abscheu beim bloßen Gedanken daran um, und
er fühlte das Brennen von aufsteigender Galle in seiner Kehle.
Aber es war nichts passiert! Nichts von all dem war geschehen! Es war nichts als ein fürchterlicher Alptraum gewesen
oder ein Streich, den ihm seine Einbildungskraft gespielt hatte.
Hatte ihm der Psychiater denn nicht klargemacht, daß es beim
besten Willen nicht real gewesen sein konnte?
Er verbannte das schreckliche Bild aus seinen Gedanken,
und als sein Blick noch einmal zu Kevin abzuschweifen drohte,
zwang er sich, nach vorn auf die Straße zu sehen. Mittlerweile
waren sie auf dem Weg in die Berge. Zu ihrer Rechten stürzte
der Fluß in seine felsige Rinne hinab, und weiß schäumend
donnerte er über breite Stromschnellen hinweg.
»Wohin fahren wir?« fragte Kevin und blickte ängstlich auf
das aufgewühlte Wasser. Er stellte sich vor, was passieren
würde, wenn er beim Angeln ausrutschte. Er konnte zwar
schwimmen, aber nicht besonders gut. »Doch nicht etwa hier
runter?«
»Nein, noch ein Stück weiter. Da gibt es einen Campingplatz, wo wir parken können.« Ein Campingplatz? dachte er.
Was für ein Campingplatz? Er wußte nichts von einem Campingplatz. Doch ein paar Minuten später, als die Straße einen
Bogen machte, sah er ein Schild mit dem Hinweis, daß der
Platz noch einen Kilometer weit entfernt lag.
Glen bemerkte, daß seine Hände feucht wurden. Wie konnte
er davon wissen? War es möglich, daß der Traum auf eine
Weise, die er nicht ergründen konnte, doch wahr gewesen war?
Nein! Hier mußte es sich um eine alte Erinnerung an eine Fahrt
handeln, die er mit Anne und den Kindern vor Jahren einmal
gemacht hatte und die ihm jetzt wieder bruchstückhaft einfiel.
Ja, genau so mußte es gewesen sein. Obwohl er keine bewußte
Erinnerung mehr daran hatte, mußte es so sein, daß er den
Campingplatz vor langer Zeit in seinem Gedächtnis gespeichert
hatte. Er bremste, um rechtzeitig abbiegen zu können, sobald
die Nebenstraße auftauchte. Doch als er dann um die Ecke bog,
sah er, daß ein Polizeiwagen die Zufahrt blockierte. Ein
Polizist winkte ihn vorbei. Im Vorüberfahren entdeckte er noch
weitere Streifenwagen am Ende der engen Spur.
»Was ist das passiert?« fragte Kevin, drehte sich um und sah
aus dem Rückfenster. »Können wir nicht anhalten und
nachschauen? Vielleicht ist jemand von einem Bären angefallen worden.«
»Wir halten nicht«, sagte Glen. »Und schnall dich wieder an,
okay?« Er schaute zu Kevin, und als sein Blick auf seinem
Sohn lag, hörte er eine Stimme in seinem Kopf:
Erinnerst du dich an die Katze?
Glen erstarrte. Seine Finger umklammerten das Steuer. Wir könnten es tun, flüsterte die Stimme. Wir könnten es tun,
und niemand würde es je erfahren.
Plötzlich wurden Glens Augenlider schwer, und die Straße
verschwamm vor ihm. Nebel begann sich über seinen Verstand
zu legen, und er wurde schläfrig. Wenn er nur seine Augen
schließen könnte…
Nein!
Er riß die Augen auf und setzte sich kerzengerade hin. Kein
Blackout! Nicht heute! Nicht mit Kevin! Er malte sich aus, wie
der Wagen über die Straße schlingerte, die Leitplanke
durchschlug und fünfzig Meter weiter unten in den Fluß
stürzte. Diese Vorstellung reichte aus, um ihn wieder klar
werden zu lassen.
Sein Herz begann zu hämmern, und die seltsame Müdigkeit,
die ihn ergriffen hatte, verflüchtigte sich schlagartig.
Vor ihm tauchte ein weiteres Schild auf. Noch bevor Glen es
klar erkennen konnte, wußte er schon, was es war: ein Zeichen,
das auf eine Seitenstraße einen halben Kilometer entfernt
hinwies.
Dort wollte er abbiegen.
Einige Augenblicke später, während er sich der engen Spur
näherte, die nach rechts wegführte, stieg aufs neue eine
eigenartige Erinnerung in ihm auf. Der Platz sah genauso aus
wie der, von dem er geträumt hatte.
Dort hatte er nackt geangelt – und sich dabei vage daran
erinnert, eine Frau getötet, ihr die Brust aufgeschnitten zu
haben und…
Nein! Es war nur ein Traum gewesen, und Dr. Jacobson
hatte reale Erklärungen für alles gefunden, was er darin gesehen hatte! Nichts von all dem war wahr! Glen bremste stärker,
als er beabsichtigt hatte, und fuhr auf eine abschüssige Straße,
die so nah an den
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