Blitze des Bösen
Jacobson gesagt, er solle sich keine Sorgen mehr machen.
»Wenn ich fünf Minuten früher gekommen wäre, hättest du
nicht einmal gemerkt, daß ich überhaupt fort war.« Er ging zu
ihr und zog sie an sich. »Es waren doch nicht mehr als fünf
Minuten, oder?«
Er zog sie eng an seine Brust, und Annes Entschlossenheit
geriet ins Wanken. »Eher zehn«, sagte sie und bemühte sich,
die Situation unter Kontrolle zu halten. »Aber du hast noch
immer nicht meine Frage nach diesem Ausflug beantwortet.
Über solche Dinge haben wir immer miteinander geredet, falls
du dich erinnerst.«
»Wie sollte ich mich daran erinnern? Ich habe doch noch nie
die Absicht gehabt, mit Kevin angeln zu gehen.«
Er berührte mit seinen Lippen Annes Nacken. Anne wußte
nicht, wie sie reagieren sollte. Einerseits wollte sie ihn
wegdrücken, andererseits sich enger an ihn schmiegen. »Glen,
warte«, protestierte sie, doch er umarmte sie nur noch fester.
»Meine Güte, was soll ich mit dir nur anstellen?« seufzte sie.
Ihr ganzer Ärger wurde von einer Welle der Zuneigung
weggespült.
Anne lag noch immer in Glens Armen, als Boots ins Zimmer
trottete. Der Hund lief auf Glen zu, hielt dann aber abrupt vor
ihm an. Er hob eine Vorderpfote und gab ein leises Knurren
von sich.
Seine Nackenhaare sträubten sich, er fixierte Glen kurz und
machte dann wieder kehrt.
57. Kapitel
Rolf Gustavson und Lars Gunderson waren schon seit siebzig
Jahren dicke Freunde und gingen auch zusammen angeln. Das
hatten sie schon in ihrer Kindheit in Ballard getan. Dort waren
sie Tür an Tür aufgewachsen und hatten ihre ersten Angelruten
in den Kanal geworfen, der zwischen ihrem Bezirk und Seattle
lag. Damals hatten sie von all den Orten geträumt, die sie
später, wenn sie erst erwachsen wären, besuchen würden. Aber
letzten Endes waren beide in Ballard geblieben, wohnten später
einen Block auseinander, aber immer noch nur zwei
Häuserblocks von dem entfernt, wo sie aufgewachsen waren.
Sie waren beide mittlerweile Witwer; redeten immer noch
davon, einmal nach Norwegen zu reisen, um Verwandte zu
besuchen, die sie nie gesehen hatten, und beide liebten nach
wie vor das Angeln. Das einzige, was sich in den sieben
Jahrzehnten geändert hatte, war, daß sie nun nicht mehr an den
Kanal gingen, sondern ihre Leinen in den Bergflüssen südlich
der Stadt auswarfen. Wie fast an jedem Samstagmorgen seit
Lars’ Frau vor drei Jahren gestorben war, brachen sie auch
heute vor Tagesanbruch auf, nachdem sie ihr Angelzeug in
Rolfs altem Dodge verstaut hatten. Lars mußte während der
Fahrt Kaffee und Kuchen auf den Knien balancieren. Während
sie den Windungen der Straße Richtung Snoqualmie folgten,
debattierten sie angeregt darüber, wo sie heute ihr Glück
versuchen wollten.
Wie an jedem Samstagmorgen bog Rolf an der Ausfahrt
nach Snoqualmie ab, und Lars maulte wie immer, daß sie lieber
weiterfahren sollten. Und als sie dann durch die Stadt fuhren
und weiter am Elektrizitätswerk vorbei zu der Straße, die sich
am Fluß entlangwand, diskutierten sie wie immer darüber, wie
lohnend es wohl wäre, an den Buchten angeln zu gehen, von
denen sie seit Jahren gehört, die sie aber noch nie getestet
hatten. Die Debatte hielt noch an, als Rolf bereits zu demselben
Campingplatz einbog, an dem sie schon seit Jahren angelten,
den Wagen abstellte und ausstieg. Er zog die Angelausrüstung
zwischen all dem Zeug hervor, das sich auf dem Rücksitz
angehäuft hatte, seit seine Frau, nur zwei Monate vor Greta,
der von Lars, gestorben war. »Hildie würde sich im Grab
umdrehen, wenn sie das sehen könnte«, seufzte Rolf beim
Anblick des Gerümpels, das die Rücksitze mittlerweile
vollständig bedeckte.
»Ganz bestimmt«, gab Lars zurück. »Aber willst du damit
etwa sagen, daß du sie zurückhaben willst?«
Die beiden Männer keuchten unter dem Gewicht der Ausrüstung, als sie den Weg vom Picknickplatz, wo sie geparkt
hatten, bis zum Fluß liefen. Am Ende des Pfades befand sich
eine weite Flußbiegung, die sogar noch beim Höchststand des
Hochwassers im Frühling ein enges, steiniges Ufer aufwies. In
diesem Frühjahr war der Schnee schon früh geschmolzen,
deshalb war das Flachufer heute besonders breit.
Sie hatten den halben Weg zum Fluß zurückgelegt, als Lars
abrupt stehenblieb. Sein Blick richtete sich auf etwas, das halb
versteckt unter dem dichten Unterholz lag. »Junge, Junge«,
sagte er und pfiff leise. »Sieh dir das mal an. Ich
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