Blitze des Bösen
absurd, es war
auch unverantwortlich. Sie schob den Stuhl zurück und stand
auf. »Ich kann mir nicht vorstellen, wie Sie auf dieses
‚Szenarium’ gekommen sind, aber ich schlage vor, Sie vergessen es. Wenn mir nämlich jemals zu Ohren kommen sollte,
daß Sie irgend jemandem gegenüber etwas davon erwähnt
haben, werde ich wohl ein längeres Gespräch mit Jack
McCarty führen müssen.«
»Anne…« begann Mark, erhob sich ungelenk und streckte
die Hand nach ihr aus. Aber es war zu spät. Sie hatte sich
schon umgedreht und stürmte aus dem Lokal.
»Ach, Mist«, murmelte er, warf ein paar Scheine auf den
Tisch und eilte hinter ihr her.
Er erreichte in dem Moment den Parkplatz, als ihr Volvo
schon Richtung Autobahn wegfuhr.
62. Kapitel
Als Anne zu Hause ankam, war ihr Zorn ein wenig verraucht.
Das hing aber nicht damit zusammen, daß sie mittlerweile
glaubte, an Mark Blakemoors lächerlicher Theorie könnte
etwas dran sein, sondern damit, daß sie physisch wie psychisch
zu ausgebrannt war, um sich weiter darüber aufregen zu
können. Beim Einbiegen in die 16. Straße war sie überrascht,
Glens SAAB schon wieder auf dem Parkplatz zu sehen. Er
hatte ihr doch gesagt, daß er nicht vor dem späten Nachmittag
zurückkommen wollte, möglicherweise sogar erst morgen
vormittag. Wundersamerweise fand sie einen Parkplatz direkt
vor dem Haus, stieg aus und ging hinein. »Glen? Kevin?
Hallo?«
»Im Keller«, antwortete Glen mit kaum hörbarer Stimme.
Anne ging die Stufen hinunter und traf ihren Mann, wie er
vor der Werkbank stand. Er wandte ihr den Rücken zu. Das
grelle Licht leuchtete jeden Winkel des Raumes aus. »Warum
bist du schon zurück?« fragte sie und trat näher hinzu. Glen
gab keine Antwort. Als Anne sich der Werkbank näherte, sah
sie, was er machte: In der Hand hielt er ein Filetiermesser,
dessen dünne, rasiermesserscharfe Klinge in dem hellen Licht
funkelte. Auf der Werkbank lag eine große Forelle. Anne
wurde Zeugin, wie Glen den Fisch unterhalb des Kopfes aufschnitt und seine Innereien bloßlegte. Dabei führte er das
Messer so rasch, daß sie Angst bekam, er könnte sich verletzen. Dann trennte er das Fleisch von den Gräten und legte
schließlich das Filetstück auf die Werkbank. Mit einem einzigen geschickten Schnitt schälte er die Haut vom Fleisch,
spießte die Haut mit der Messerspitze auf und ließ sie in den
Abfalleimer neben seinen Füßen fallen. Erst dann drehte er sich
zu ihr um.
»Wo hast du das gelernt?« fragte Anne verwundert.
Glen zuckte die Schultern. »Da gibt’s nicht viel zu lernen.
Es ist ganz einfach. Willst du es auch einmal versuchen?« Er
reichte ihr das Messer, doch Anne schüttelte den Kopf.
»Wo ist Kevin?«
»Drüben bei Justin. Wo bist du gewesen? Du hast doch
gesagt, du wolltest den ganzen Tag an deinem Computer sitzen.«
»Es ist noch ein Mord passiert«, erklärte Anne. »Diesmal hat
es Edna Kraven erwischt – Richards und Rorys Mutter. Man
hat sie auf einem Campingplatz bei Snoqualmie gefunden.«
Für den winzigen Sekundenbruchteil glaubte sie, etwas in
Glens Augen gesehen zu haben.
Furcht?
Zorn?
Aber es war so schnell verschwunden, daß sie es gleich
wieder vergaß.
»Ach, das war es«, sagte Glen. »Wir sind an einem Cam
pingplatz vorbeigekommen, wo es vor Polizisten nur so
gewimmelt hat.« Er grinste. »Ich muß dir ja wohl nicht sagen,
daß Kevin sofort anhalten wollte, um nachzusehen, was dort
los ist.«
»Gott sei Dank habt ihr es nicht getan.« Anne schauderte bei
dem Gedanken daran. »Es war furchtbar.« Sie zögerte und
fragte sich, ob sie ihm etwas von der Nachricht sagen sollte,
solange sie noch allein im Haus waren. Aber schon beim
Gedanken daran fiel ihr schlagartig Mark Blakemoors Unterstellung ein, Glen könne sie geschrieben haben. Und wenn sie
jetzt damit anfinge, würde sie auch gleich von dem ganzen
bizarren Szenarium erzählen, das der Kommissar entworfen
hatte.
Das wiederum würde dann Glen in – berechtigten – Zorn
versetzen – und das war das letzte, das sie jetzt brauchen
konnte. Sie nahm sich vor, lieber bis später zu warten, bis sie
sich vollkommen beruhigt hatte. Vielleicht würde sie es ihm
abends erzählen, bevor sie zu Bett gingen.
»Und wie war’s beim Angeln?« wechselte sie das Thema.
»Du hast mir noch immer nicht gesagt, warum ihr schon so
früh zurückgekommen seid.«
Glen zögerte. Ein seltsamer Ausdruck trat in seine Augen,
verschwand aber wie zuvor zu schnell, als daß Anne
Weitere Kostenlose Bücher