Blitze des Bösen
und dafür zu sterben ganz bestimmt nicht verdient hatte. Fast
aus Trotz gegen Annette Bradys Warnung verließ Anne das
Krankenhaus durch das Hauptportal und machte sich auf den
Weg in die 16. Straße. Als sie über den Bürgersteig schlenderte, der von den Straßenlaternen in helles Licht getaucht
wurde, und zwischen ihnen in tiefer Dunkelheit lag, hatte sie
plötzlich das Gefühl, beobachtet zu werden. Sie hielt an, warf
einen Blick in die Richtung, in die sie ging, dann schaute sie
sich um.
Es war kein Mensch zu sehen.
Noch einmal blickte sie sich um und war schließlich sicher,
daß niemand im Schatten auf sie lauerte. Anne ging normal
weiter, doch an der Ecke Thomas Street ließen ihre Nerven sie
im Stich. Sie beschleunigte ihre Schritte, bis sie das helle Licht
und den lärmenden Verkehr in der 15. Straße erreicht hatte. Als
sie an der Straßenecke angekommen war, hatte sich die
Spannung in ihrem Nacken gelöst. Und als sie dann Richtung
Norden weiterlief, schalt sie sich selbst eine unverbesserliche
Närrin.
Der Experimentator trat vom Fenster zurück, als Anne Jeffers
um die Ecke gebogen und aus seinem Blickwinkel entschwunden war. Sie hatte gespürt, daß er sie beobachtete;
dessen war er sich absolut sicher. Sie hatte es bemerkt, aber
keine Ahnung, daß er es war. Er hatte gesehen, wie sie die
Straßen beobachtete, wie sie zögerte, dann noch einmal die
Umgebung mit Blicken absuchte. Sie tat das ebenso, wie er,
wenn er sorgsam darauf achtete, bei der Suche nach einem
neuen Objekt für seine Experimente keinerlei Aufmerksamkeit
zu erregen.
Bald wäre es wieder an der Zeit, bald mußte er die Arbeit
wieder aufnehmen. Seine Finger zitterten vor Aufregung, als er
sich vorstellte, bald wieder in das innerste Zentrum des Lebens
einzutauchen, wieder den wohligen Schauer zu spüren, ein
lebendes, pulsierendes Organ in den Händen zu halten, aufs
neue das ungeheuerliche Gefühl auskosten zu können, ganz
alleine Macht über Leben und Tod zu besitzen.
Er hatte sich bereits dazu entschlossen, Anne Jeffers zu
einem seiner nächsten Versuchsobjekte zu machen. Zuerst
würde er natürlich mit ihr spielen, so wie er schon seit Jahren
mit ihr gespielt hatte. Doch wenn schließlich ihre Zeit gekommen war und er endlich ihren Körper geöffnet und ihre Lebenskraft erfahren hatte – dann würde er sie sogar bei
Bewußtsein halten, damit sie an seiner Freude teilhaben
konnte.
Er hatte während der Zeit, in der seine Arbeit geruht hatte,
Möglichkeiten kennengelernt, das zu erreichen. Er mußte dazu
zwar mit Nadeln hantieren, doch er freute sich schon sehr
darauf, so wie er sich bisher auf alle seine Experimente gefreut
hatte.
Es würde nicht mehr lange dauern. Bald würden die Dinge ihren Lauf nehmen, bald würde er Anne Jeffers in seinen
Händen halten. Bald wäre es soweit…
23. Kapitel
»An diese Vorschriften müssen Sie sich halten.« Gordy Farber
beugte sich in seinem Stuhl nach vorn und deutete mit dem
Bleistift auf Glen, als hätte er es mit einem aufsässigen
Zehnjährigen und nicht mit einem dreiundvierzigjährigen
erwachsenen Architekten zu tun. »Sie können heute zwar nach
Hause gehen, doch das heißt noch lange nicht, daß Sie auch
Ihren früheren Lebensstil wieder aufnehmen können, ist das
klar?«
Glen schaute zur Decke und wiederholt noch einmal genau
Farbers Anweisungen, die er ihm so genau und oft klargemacht
hatte, daß sie längst in sein Gedächtnis eingebrannt waren. »Ich
darf nicht ins Büro gehen, muß mir viel Ruhe gönnen, gesund
essen und viel Übungen machen.« Als Farber sanft errötete,
grinste Glen. »Soll ich auch jeden Tag Geritol nehmen?«
»Das würde nicht schaden«, meinte Farber, und wandte sich
an Anne, die sich den Tag freigenommen hatte, um Glen nach
seinem zweiwöchigem Krankenhausaufenthalt abzuholen. »Ich
zähle auf Sie, daß er nicht schummelt. Wenn er sich
zusammenreißt, reduziert sich die Gefahr eines weiteren
Infarkts erheblich.« Er drehte sich wieder zu Glen und redete
noch einmal im strengen Ton eines Schulmeisters zu ihm:
»Wenn Sie allerdings den ganzen Tag am Zeichentisch sitzen,
nur Hamburger und Pommes frites essen, fünfundzwanzig
Tassen Kaffee am Tag trinken, kann ich Ihnen fast garantieren,
daß Sie in weniger als einem Jahr wieder hier sind. Ich geh’
aber davon aus, daß man Sie dann nicht mehr so gut hinkriegt.«
»Und darf er auch schon gleich Treppen steigen?« wollte
Anne wissen.
»Ich
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