Blitze des Bösen
ein, zwei Wochen
brächte er wieder seine normalen 80 Kilogramm auf die Waage, und in der Sonne nähme sein Gesicht auch wieder Farbe an.
Aber wie stand es mit seinem Inneren?
Sie beugte sich zu ihm und küßte ihn zärtlich auf die Stirn,
doch er rührte sich nicht. Dann deckte sie ihn zu, und bevor sie
den Raum verließ, drehte sie sich noch einmal zu ihm um.
Er war nach wie vor Glen, ihr Mann.
Aber er war anders.
Der Herzinfarkt hatte nicht nur seinem Körper Schaden
zugefügt, er hatte auch seinen Geist verändert.
Als Anne das Haus verließ, um in ihr Büro zu fahren, redete
sie sich ein, daß seine Persönlichkeit wieder den alten Zustand
haben würde, wenn sich erst einmal sein Körper von diesem
Trauma erholt hatte.
Wenn sie sich das nächste Mal liebten, würde es wieder so
sein, wie es immer gewesen war.
Aber was wäre, wenn es zwischen ihnen niemals wieder so
wie früher werden würde?
Auf diese Frage wußte sie keine Antwort.
24. Kapitel
Am ersten Morgen nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus kam Glen Jeffers nur langsam zu sich. Einen Moment
lang fühlte er dieselbe Desorientierung, wie er sie so oft an den
ersten Tagen nach seinem Herzinfarkt gespürt hatte. Doch an
diesem Morgen klärte sich sein Geist schnell. Er schwelgte in
dem Gefühl, in seinem eigenen Schlafanzug, seinem eigenen
Bett, seinem eigenen Haus zu erwachen. Und es war seine Frau
gewesen, die ihn kurz zuvor mit einem Abschiedskuß geweckt
hatte – und keine Krankenschwester, die ihm einen
Blutdruckmesser um den Arm schnallte oder ihm ein
Thermometer unter die Zunge schob.
Daheim.
Er war daheim und ganz allein.
Er streckte sich der Länge nach aus und lauschte der Stille
im Haus. Wie lange war es schon her, daß er eine solche Ruhe
genossen hatte?
Er konnte sich nicht erinnern.
Natürlich war es auch im Krankenhaus ruhig gewesen, doch
das war eine andere Art von Ruhe gewesen. Dort hatte eine
Grabesstille geherrscht, die der Allgegenwart des Leidens
entsprang. Im Krankenhaus hatte er immer mitbekommen,
wenn in einem der Nebenzimmer jemand hustete oder stöhnte.
Heute morgen hörte er aber nur Hectors Gebrabbel aus seinem
Käfig in Kevins Zimmer. Und von draußen drang lediglich das
Gezwitscher der Vögel an seine Ohren – ein ganz anderes
Geräusch als der dröhnende Verkehrslärm, der ständig um das
Krankenhaus herum herrschte.
Mit diesem friedvollen Gefühl stand er auf, schlüpfte in
seinen Bademantel, zog seine bequemen, ausgetretenen
Hausschuhe an, ging nach unten und folgte dem himmlischen
Duft von frischaufgebrühtem Kaffee in die Küche. Auf der
Kaffeemaschine fand er eine Nachricht von Anne:
Trink nicht gleich alles auf einmal, eine Tasse reicht für den Anfang.
Beim Lesen der Notiz überkam ihn das eigenartige Gefühl,
nicht allein im Haus zu sein. Ihm kam es so vor, als würde er
beobachtet: Die Nackenhaare standen ihm zu Berge, und seine
Muskeln verspannten sich unbewußt. Doch als er sich
umdrehte, sah er nur die leere Küche; nicht einmal Boots war
hier. Das befremdliche Gefühl verschwand wieder, und er holte
sich eine Kaffeetasse aus dem Wandschrank, die größte, die er
finden konnte, und füllte sie bis zum Rand. Dann ließ er sich
am Küchentisch nieder. Da kam Kumquat herein, die
offensichtlich zeigen wollte, daß sie ihn auch vermißt hatte,
und machte es sich auf seinem Schoß bequem. Mit der einen
Hand streichelte Glen die Katze, mit der anderen holte er sich
die Morgenausgabe des Herold und las den Leitartikel.
»Noch kein Erfolg bei der Fahndung nach
dem Mörder von Capitol Hill«
Fast eine Woche nach der Entdeckung der
Leiche von Shawnelle Davis in ihrer Wohnung
in Capitol Hill berichtet die Polizei von Seattle,
daß im Zusammenhang mit der Ermordung der
zweiunddreißigjährigen Prostituierten noch
keine Verdächtigen ermittelt werden konnten.
Obwohl die Untersuchungen bestätigten, daß
der Mord gewisse Gemeinsamkeiten mit jenen
aufweist, die Richard Kraven zugeschrieben
werden, schließt man gegenwärtig die
Möglichkeit aus, daß es sich dabei um eine
Nachahmungstat handelt. Auch glaubt man
nicht, daß vielleicht erst Kravens Hinrichtung
den Mörder inspiriert haben könnte. Wie
Kommissar Mark Blakemoor verlauten ließ…
Glen legte die Zeitung beiseite. Er hatte keine Lust, den Artikel zu Ende zu lesen, obgleich er absolut sicher war, daß ihn
seine Frau geschrieben hatte. Warum ritt Anne immer noch auf
dem Fall Kraven herum? Der Mann war doch
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