Blitze des Bösen
mal sehen, was ich für Sie tun kann. Aber wenn ich so spät
noch was auftreibe, erwarte ich, daß Sie diesmal dann auch
damit zufrieden sind.«
Nachdem die Schwester das Zimmer verlassen hatte, versuchte er, seine Gedanken zu ordnen. Anscheinend hatte er
schon gegessen, und offenbar hatte er sich über das Essen
beschwert. Aber er hatte weder eine Erinnerung an die Mahlzeit noch an den Rest des Tages.
Er schaute sich im Zimmer um, in der Hoffnung, einen
Anhaltspunkt zu finden. Das erste, was ihm in die Augen stach,
war ein dicker Ordner auf dem Nachttisch neben seinem Bett.
Er nahm ihn sich vor und blätterte darin: Annes Akten über
Richard Kraven. Was hatten die hier zu suchen?
Sie mußte hier gewesen sein, als er geschlafen hatte, und die
Unterlagen dagelassen haben. Er griff zum Telefon und wählte
die Nummer, doch ehe Anne antwortete, fiel ihm etwas ein: Er
sollte in wenigen Tagen nach Hause gehen dürfen – aber falls
er sein Gedächtnis verloren hatte, würden sie ihn dann immer
noch entlassen?
Auf gar keinen Fall. Die würden ihn so lange im Krankenhaus behalten, bis sie herausbekommen hätten, was die Ursache war. Deshalb zögerte er, als Anne abhob. Doch sie sprach
schon.
»Du hast dich also dazu durchgerungen, dich zu entschuldigen?« fragte sie in fast neckischem Ton. »Mit wem
willst du anfangen? Mit mir oder mit Kevin?«
Glen zermarterte sich das Hirn. Er konnte sich nicht daran
erinnern, heute überhaupt mit Anne gesprochen zu haben, aber
ihm fiel ein, daß er morgens mit Kevin telefoniert und ihn
gebeten hatte, ihm einige Zeitschriften ins Krankenhaus zu
bringen. Seine Augen wanderten zum Nachttisch: die Zeitschriften lagen unter dem Aktenordner.
Folglich mußte Kevin hier gewesen sein – und Anne vermutlich auch.
»Ich schätze, ich hatte heute einen ziemlich schlechten Tag.«
Damit sagte er die reine Wahrheit, auch wenn er seinen
Gedächtnisverlust nicht zugab. »Es tut mir wirklich leid.«
Nachdem er sich auch noch bei Kevin entschuldigt hatte, kam
Anne wieder an den Hörer.
»Wie lange willst du meine Akten behalten?« fragte sie und
klang fast amüsiert.
Sein Blick wanderte wieder zu dem dicken Ordner zurück.
Also hatte er darum gebeten. Weshalb nur?
»Ich weiß noch nicht«, redete er sich heraus, um nicht zugeben zu müssen, daß er keinerlei Erinnerung mehr an den Tag
hatte. Aber warum bloß hatte er überhaupt nach dem Ordner
verlangt? Bislang war es ihm immer so vorgekommen, daß
Annes Faszination von dem Fall Kraven schon ans Krankhafte
grenzte, woraus er auch nie einen Hehl gemacht hatte. »Ich
dachte mir, solange ich hier liege, könnte ich vielleicht dahinterkommen, was dich an ihm so gefesselt hat«, war die
Erklärung, die er sich aus dem Stegreif zusammendichtete.
»Vielleicht lese ich mir heute nacht noch alles durch.«
Er wünschte Anne eine gute Nacht und nahm sich den
Ordner vor. Im Grunde hatte er gar nicht die Absicht, darin zu
lesen, sondern hoffte, daß es seinem Gedächtnis vielleicht auf
die Sprünge helfen würde, wenn er ihn nur in die Hand nahm.
Er hielt inne, legte den Ordner ab, schlug ihn dann aber doch
auf.
Er blätterte darin, und als er die Artikel überflog, stellte sich
ein eigenartiges Deja-vu-Erlebnis bei ihm ein.
Der gesamte Stoff kam ihm sehr vertraut vor, obwohl er sich
nicht erinnern konnte, ihn je zuvor gelesen zu haben. Dann
schlug er eine der Seiten um und erstarrte. Er sah die Kopie
eines Artikels, den nur Anne verfaßt haben konnte, obwohl er
nicht namentlich gekennzeichnet war:
Richard Kraven – ein Tierquäler?
Ehemalige Nachbarn Richard Kravens
berichten, daß der mutmaßliche Serienmörder schon im Alter von zwölf Jahren häufig
kleine Tiere mißhandelt haben soll.
Martha Demming, sechsundsiebzig Jahre
alt, die fast zwei Jahrzehnte im Haus neben
Edna Kraven wohnt, berichtet, sie könne in
mindestens zwei Fällen bezeugen, daß sich
Richard Kraven als Kind immer wieder an
die Lieblingskatze seiner Mutter herangeschlichen habe.
»Ich will nicht sagen, daß er sie gequält
hat«, gab Miss Demming in einem Telefoninterview Auskunft, »doch die Katze hatte
ständig Angst vor ihm.«
Im weiteren Verlauf des Interviews
erzählte Miss Demming, daß Gerüchte die
Runde machten, ein anderer Nachbar habe
die Leiche der Katze gefunden und dabei
sofort gemeint: »Sie ist durch Stromstöße
getötet worden.« Wilbur Frankenburg, der
Nachbar, der angeblich die Katze gefunden
hatte, starb vor drei
Weitere Kostenlose Bücher