Blitze des Bösen
Geschwindigkeitsbegrenzung.
Auf dem Sitz hinter ihm saß der Junge und redete, so wie
alle die anderen Objekte geredet hatten. Aber er fand den Jungen viel interessanter als die meisten vor ihm, denn er war
Indianer, auch wenn er nicht wußte, welchem Stamm er
angehörte.
»Wußten Sie schon, daß unser Volk glaubt, die erste Frau
wäre einem Fisch entstiegen?«
Der Experimentator schüttelte den Kopf.
»Und zwar soll es ein Lachs gewesen sein, ein ganz schön
dicker Brocken. Als nämlich der Mann, der ihn gefangen hatten, den Lachs aus dem Wasser zog und aufschnitt, steckte eine
Frau darin.«
»Er hat ihn aufgeschnitten?« fragte der Experimentator. Sein
Herz schlug noch schneller, und ein wohliger Schauer
durchfuhr ihn.
»Seinen Bauch«, erklärte der Junge. »Der Mann hat den
Fisch aufgeschnitten, um ihn zu säubern, aber statt der Gedärme kam die erste Frau heraus. Deshalb verehrt man bei uns den
Lachs, weil ihm unsere Urmutter entstammt.«
»Und der Mann, der den Fischbauch aufschnitt?« fragte der
Experimentator. Nichts in seiner Stimme verriet die Erregung,
die sein eigenes Inneres aufrührte. »Was ist mit ihm passiert?«
Der bronzehäutige Junge zuckte die Schultern. »Weiß ich
nicht. In der Legende geht es nur darum, daß die erste Frau aus
einem Lachsbauch kam. So ähnlich wie bei Eva, die nach der
Bibel aus einer Rippe Adams geschaffen wurde.«
»Aber es war doch kein Mensch, der sie aus Adam schnitt«,
entgegnete der Experimentator. »Es war Gott.«
Wieder zuckte der Junge die Schultern.
Die Erregung des Experimentators wuchs.
Die Stadt lag nun hinter ihm, und sie fuhren mit dem
Wohnmobil die ersten Hügel hinauf. Nebelschwaden stiegen
um sie auf und verwandelten das Morgenlicht in ein farbloses
Grau. Die Welt innerhalb des Wohnmobils wurde kleiner,
intimer.
Der Junge schien es zu spüren. »Es ist unheimlich. Es ist so,
als ob außer uns niemand auf der Welt wäre.«
»Vielleicht gibt es auch niemanden«, meinte der Experimentator. »Vielleicht hat es überhaupt nie jemanden außer uns
gegeben.«
»Oder vielleicht existiert einer von uns gar nicht.« Der Junge
grinste, als er den Gedanken weiterspann. »Aber wer von uns
ist dann das Phantasiegebilde des anderen?«
Der Experimentator sagte nichts dazu. Er zumindest hatte
diese Frage für sich längst beantwortet.
Nur er existierte.
All die anderen waren nichts weiter als Versuchsmaterial für
seine Experimente.
Er bremste ab und durchforschte den nebelumhüllten Wald
nach einer Lücke zwischen den Bäumen, die die Einfahrt zu
einem seiner Lieblingsfischgründe markierte. Schließlich fand
er sie und bog mit der Fachkenntnis, die aus langer Erfahrung
resultierte, in den engen Weg ein.
Mit derselben Fachkenntnis führte er auch seine Experimente aus.
Der Wagen holperte die schmutzige Spur entlang, und der
Experimentator federte die Bergfahrt mit leichtem Druck auf
die Bremsen ab. Als die Straße wieder ebener wurde, gaben die
Bäume den Blick auf eine kleine Lichtung neben dem Fluß
frei, von der er wußte, daß sie verlassen war.
»Ich mach’ Kaffee«, erklärte er dem Jungen. »Bis wir ihn
getrunken haben, hat sich der Nebel verzogen, und die Fische
werden beißen.«
Als er den Generator anschaltete, übertönte dessen Dröhnen
das Pochen seines Herzens, und er entspannte sich ein wenig.
Er füllte einen Teekessel mit Wasser und setzte ihn auf einen
der drei Brenner.
Zwanzig Minuten später, als sich der Nebel endlich zu verziehen begann und die Morgensonne ihre goldenen Strahlen
durch die Bäume schickte, fiel dem Jungen der Kopf auf die
Brust, und sein Atem kam im gleichmäßigen Rhythmus eines
tiefen Narkoseschlafs.
Der Experimentator ließ die Jalousien des Wohnmobils
herab und schaltete die Innenbeleuchtung ein. Er öffnete eine
Schublade und nahm eine Rolle durchsichtiger Plastikfolie
heraus. Der Experimentator arbeitete langsam und methodisch
– so geübt, daß er kaum noch daran denken mußte, was er
machte – und legte das Innere des Wohnmobils mit Plastik aus.
Erst den Boden, dann die Ecken, ein paar Zentimeter die
Wände hoch. Dann bedeckte er die Wände, bis die Plane die
auf dem Boden überlappte. Schließlich kam das Bett an die
Reihe. Er nahm zwei Folienteile, faltete sie zusammen und
verklebte sie gründlich, damit sie nicht verrutschen konnten.
Der Experimentator entkleidete sich, faltete seine Sachen
fein säuberlich zusammen und verstaute sie in einer Kommode
unter dem Bett.
Als
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