Blitze des Bösen
unattraktiver wurden, begannen die Kinder der
Familien, die zwanzig Jahre vorher nach Osten abgewandert
waren, wieder in die Stadt zurückzuziehen. Daß damit die
Umgebung lebendiger wurde, wirkte sich natürlich auch auf
den Broadway aus. Einige Läden, in denen fast nur noch ältere
Frauen eingekauft hatten, machten zu, und es ließen sich
ausgesuchte kleine Restaurants und Boutiquen nieder, die alle
den Neuankömmlingen etwas zu bieten hatten. Und auch Fred
Meyer, der die Zeichen der Zeit erkannte, gestaltete sein
Kaufhaus um. Das Innere wurde völlig umgebaut, die Fassade
beibehalten. Es entstand ein neues Einkaufszentrum mit einem
Theater, einer großen Tiefgarage und einigen Wohnungen für
Leute, die gar nicht nahe genug am Trubel leben konnten. Der
restliche Raum wurde an Unternehmer vermietet, die
berufliche Träume und reichlich Geld besaßen. Zwangsläufig
wurde der Markt am Broadway Mittelpunkt des plötzlich so
geschäftigen Treibens.
Und an diesem Nachmittag, als Glen von Laden zu Laden
schlenderte und sich schließlich setzte, um die Menschen zu
beobachten, die sich hier in Massen drängelten, war er von all
dem ungeheuer fasziniert.
Wie sehr ihn dieses Erlebnis in Bann gezogen hatte, wurde
ihm erst richtig bewußt, als er nach Hause kam, den Fernseher
anschaltete, und feststellte, daß schon die Lokalnachrichten
liefen.
Hatte er wirklich fast zwei Stunden am Marktplatz gesessen?
Ihm war es nicht einmal wie eine Stunde vorgekommen.
Er drehte den Fernseher ab und ging die Treppe hinauf.
Obwohl er schon fünf Stunden mehr als sonst geschlafen hatte,
verspürte er plötzlich das Bedürfnis nach etwas Schlaf.
Vielleicht war das aber auch nur der Wunsch, durch ein
wenig Schlaf seinem seelischen Durcheinander für eine kurze
Zeit zu entfliehen.
28. Kapitel
Am Nachmittag hatte sich Anne mit allerlei Kleinigkeiten
herumgeschlagen, und das war genau das, was sie am meisten
haßte. Zuerst fiel ihr ein, daß sie vergessen hatte, Mark
Blakemoor beim Essen die wichtigste Frage zu stellen. Das war
nur passiert, weil sie bemerkt hatte, daß die Gefühle des
Kommissars für sie nicht nur rein beruflicher Natur waren.
Anschließend hatte sie zwanzig Minuten mit ihrer Unschlüssigkeit vertan, denn sie hatte sich gefragt, was er wohl von ihr
denken würde, wenn sie ihn so kurz nach ihrem Treffen wieder
anriefe. Schließlich entschloß sie sich, den Anruf fürs erste
aufzuschieben und beschäftigte sich mit anderen Dingen.
Nachdem es so schien, als habe der Regen für heute aufgehört, machte sie sich auf die Suche nach Sheila Harrar. Bei
der Adresse, die Blakemoor ihr gegeben hatte, sagte man ihr:
»Harrar wohnt im vierten Stock.« So ging sie in den vierten
Stock, fand auch das Zimmer, aber keine Spur von Sheila Harrar.
Der Mann unten am Empfang des Hotels sah sie gelangweilt
an, als Anne nach Sheila Harrar fragte. »Schauen Sie auf dem
Pioneer Square nach. Dort hängen sie alle nun«, erklärte er.
»Sie ist eine Indianerhure«, fügte er hinzu und rollte mit den
Augen, als wolle er zu verstehen geben, daß damit alles über
sie gesagt sei.
Anne erwiderte nichts, verließ das Hotel, ging zwei Blocks
weiter zum Pioneer Square und hielt Ausschau nach jemandem, der Sheila Harrar sein könnte. Zu ihrer eigenen Überraschung fand sie Sheila schon beim zweiten Versuch. Obwohl
die Frau ganz offensichtlich Trinkerin war, sah man ihr an, daß
sie heute noch nichts getrunken hatte.
»Ich hab’ heute morgen Ihren Artikel gelesen«, erklärte
Sheila, die keine Überraschung zeigte, als Anne sich ihr vorstellte und sich neben sie auf die Bank setzte. »Deshalb habe
ich auch bei Ihnen daheim angerufen.«
»Bei mir daheim?« Anne war verdutzt. Sie fragte sich, ob sie
sich getäuscht hatte und Sheila doch betrunken war.
Sheila fragte verwundert: »Hat Ihnen Ihr Mann denn nichts
davon erzählt? Haben Sie nicht deshalb nach mir gesucht?«
Anne schüttelte den Kopf, erzählte von der unverständlichen
Nachricht auf dem Anrufbeantworter und wie sie sie
schließlich doch noch aufgespürt hatte.
Als die Rede auf die Polizei kam, verdüsterte sich Sheilas
Gesicht, und ihre Augen verengten sich mißtrauisch zu
Schlitzen. »Für die Polizei gibt es keinen Grund, nach mir zu
suchen. Ich habe nichts angestellt.«
»Die sucht Sie auch nicht«, versicherte ihr Anne rasch, als
sie spürte, daß Sheila sich aus dem Staub machen wollte. »Der
Kommissar ist ein Freund von mir und hat mir
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