Blitze des Bösen
in der Psychiatrischen Anstalt geweilt hatte, war sie weit beunruhigter, als sie
sich das Joyce gegenüber anmerken ließ.
29. Kapitel
Das Haus war nicht mehr dasselbe wie früher. Als Anne es an
diesem Nachmittag betrat, hätte sie aber nicht genau sagen
können, warum. Ihr journalistischer Spürsinn sagte ihr, daß der
plötzliche Schauder, der sie beim Aufschließen überkam, die
Woge der Angst, die sie beim Gang durch den stillen Flur
frösteln ließ, lächerlich war: Es war nicht das Haus, das sich
verändert hatte, sondern sie fühlte sich so anders. Gestern, als
Glen und sie sich geliebt hatten und es ihr vorgekommen war,
als ob ein Fremder sie berührte, hatte alles angefangen.
Ein aufregender Fremder, zugegeben, aber ein Fremder. Es
hatte sie beunruhigt, obwohl sie sich immer wieder versichert
hatte, wenn hier überhaupt irgend etwas Seltsames vorginge,
dann wohl in erster Linie in ihrem Verstand. Sie war besorgt
über Glen gewesen, unsicher, ob sie sich lieben sollten, trotz
der Worte von Gordy Farber. Aus diesem Grund hatte sie es
um so mehr beunruhigt, daß Glen vor Energie förmlich zu
strotzen schien.
Der Anruf von Joyce Cotrell hatte noch seinen Teil dazu
beigetragen. Gleich nachdem sie den Hörer aufgelegt hatte, war
ihr klargeworden, daß Joyce sich geirrt haben mußte,
gleichgültig, was sie auch erzählt hatte.
Vorausgesetzt, sie hatte überhaupt etwas gesehen. Schließlich vermuteten sie und Glen schon seit Jahren, daß Joyce eine
heimliche Trinkerin war, die allein in dem großen, alten Haus
lebte, in dem ihre Eltern gestorben waren, und in einem
dunklen Zimmer Gin trank. Sie hatten das zwar natürlich nur
vermutet, doch wenn es stimmte, wäre das eine Erklärung für
ihren seltsamen Anruf. Wahrscheinlich war überhaupt nichts
passiert. Oder vielleicht hatte sie es auch ausnutzen wollen, daß
Glen allein zu Hause war, war zu ihm gegangen, hatte sich eine
Abfuhr geholt und dafür diese Rache ersonnen.
Trotzdem gerieten nun in dem etwas zu stillen Flur alle ihre
rationalen Erklärungen ins Wanken. Etwas hatte sich im Haus
verändert.
»Hallo?« rief sie, »ist jemand hier?«
»Ich bin oben«, kam Heathers Stimme, durch die geschlossene Tür gedämpft, aus dem zweiten Stock.
Anne legte ihre Tasche auf den Tisch, lief die Treppe hoch
und nahm dabei zwei Stufen gleichzeitig. Sie klopfte kurz an
Heathers Tür und öffnete sie fast schon in dem Moment, als
ihre Tochter antwortete.
Heather saß an ihrem Schreibtisch, vor sich ein offenes
Mathematikbuch und einen zerkauten Stift in der Hand.
»Du hast mir doch versprochen, nicht mehr auf diesen Dingern rumzukauen.« Anne spielte automatisch die Mutterrolle,
wußte aber, daß sie das nur tat, um für ein, zwei Minuten ihre
Ängste zu vergessen.
»Ich versuch’s ja«, stöhnte Heather. »Aber ich merk’s gar
nicht mehr. Es ist schwer, mit etwas aufzuhören, wenn man
überhaupt nicht weiß, daß man’s tut.«
»Ist mir klar. Aber du ruinierst dir damit die Zähne.« Sie
öffnete das Fenster, um ein wenig frische Luft ins Zimmer zu
lassen. »Wo ist dein Daddy?« Anne hoffte, daß die Frage ganz
nebensächlich klang. Als Heather nicht aufblickte, wußte sie,
daß es gelungen war.
»Ich glaube, er hat sich aufs Ohr gelegt. Die Zimmertür war
zu, als ich heimgekommen bin, und ich hab gar nicht erst
geklopft.« Ihr Blick fiel auf die Uhr auf ihrem Nachttisch. »Ist
es wirklich schon sechs?«
»Allerdings. Ich werde lieber mal deinen Vater wecken. An
das Abendessen hat wahrscheinlich noch niemand von euch
gedacht, stimmt’s?« Heather schüttelte den Kopf. »Und wo
steckt Kevin?«
»Er hat gesagt, daß er zu Justin geht und versprochen, um
halb sechs zurückzukommen.« Heather deutete den vorwurfsvollen Gesichtsausdruck ihrer Mutter richtig und stand
auf. »Schon gut, ich ruf bei den Reynolds an und frage, wo er
steckt. Soll ich auch Dino anrufen und eine Pizza bestellen?
Dann hättest du keine Arbeit.«
Anne zögerte. Der Gedanke war verlockend, doch dann
erinnerte sie sich an Gordy Farbers Warnungen, was Glens
Diät betraf. Stand Pizza auf der Empfehlungsliste für Infarktpatienten? Irgendwie bezweifelte sie das. »Jetzt wecke ich erst
mal deinen Vater, dann sehen wir weiter«, verschob Anne eine
Entscheidung und dachte, daß es notfalls noch nicht zu spät
war, um schnell noch um die Ecke zu gehen und etwas
Gesundes einzukaufen. Wahrscheinlich, so dachte sie, würde es
letzten Endes darauf
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