Blitze des Bösen
jahrelang über mich phantasiert«, fing er an und dachte sich im gleichen Moment eine
Geschichte aus. »Ich vermute, sie hat mich draußen gesehen,
als ich den Rasierapparat weggeworfen habe, sich noch einen
Gin genehmigt und mich in Gedanken ausgezogen. Der
Wunsch ist ja oft Vater des Gedankens.«
»Dein Rasierapparat?« fragte Anne verwirrt. »Wovon
sprichst du eigentlich?«
Jetzt gingen ihm die Worte leichter über die Lippen. »Er ist
mir runtergefallen. Dann hab’ ich ihn draußen in den Müll
geworfen.« Er hielt den neuen Rasierer hoch. »Anschließend
hab’ ich mir einen neuen gekauft.«
»Splitternackt?« fragte Anne. »Du bist nackt zur Mülltonne
gegangen? Und dann bist du ohne Kleider am Leib einkaufen
gegangen?«
»Ich hatte einen Bademantel an«, behauptete Glen. Was zum
Teufel war eigentlich los mit ihm? Warum brachte er sich in
solche Schwierigkeiten? Und wenn sie nun rausginge und in
der Mülltonne nachsah? »Draußen auf dem Hof habe ich den
Bademantel angehabt. Bevor ich zu Freddy Meyer gegangen
bin, habe ich mich natürlich richtig angezogen.« Wenigstens
das stimmte. Er war ja angezogen gewesen, als er nachmittags
zum Markt gegangen war. Als Anne ihn weiterhin anstarrte, als
würde sie kein Wort von dem verstehen, was er sagte, zeigte er
ihr den Apparat. »Schau doch! Er ist neu.«
Anne war völlig durcheinander. Schon als sie ihm von
Joyces Anruf erzählt hatte, wußte sie sofort, daß etwas nicht
stimmte. Und was sie jetzt hörte, klang sehr weit hergeholt! In
all den Jahren, in denen sie mit Glen verheiratet war, hatte er
schon viele Elektrorasierer verbraucht. Und sie wußte, was er
dann mit ihnen tat: Er warf sie in den Mülleimer und nie direkt
in die Mülltonnen im Hof!
Wortlos ging Anne die Treppen hinunter, die Hintertür
hinaus und über den Hof zu den Müllcontainern. Sie hob den
Deckel des ersten – und dort lag er: zwar in tausende Stücke
zerbrochen, aber unverkennbar ein kaputter Elektrorasierer. So
sah aber bestimmt kein Rasierapparat aus, der bloß auf den
Boden gefallen war. Was war passiert?
Sie ging ins Haus zurück und als sie gerade die Küche betrat,
hörte sie die aufgeregte Stimme ihres Sohnes.
»He, Daddy! Wo hast du die her? Ist die etwa für mich?«
Sie eilte durchs Eßzimmer in den Flur, wo Kevin mit einer
Angelrute in der Hand stand. »Was hast du denn da?« fragte sie
erstaunt.
Kevin grinste schelmisch. »Hab’ ich unten im Keller gefunden, als ich meinen Trainingsanzug in die Wäsche gesteckt
habe. Wo kommt die her?«
Anne betrachtete noch immer die Angelrute, als sich Glen
aus dem oberen Stockwerk zu Wort meldete. »Ich hab sie
gekauft«, rief er.
Anne drehte sich zu ihm um. Es lag irgend etwas Fremdes in
seiner Stimme – so wie vorher, als er ihr die Geschichte von
dem Rasierapparat erzählt hatte. »Du hast sie gekauft? Aber
du…«
Glen stieg die Treppen hinab, fest entschlossen, sich Anne
gegenüber seine Bestürzung nicht anmerken zu lassen. Blanke
Panik überkam ihn, als er in seinem Gedächtnis kramte, woher
die Angelrute bloß gekommen sein könnte. Aber er fand nichts
– keinerlei Erinnerungen, weder an die Angel noch an den
neuen Rasierer. Es wird mir schon wieder einfallen, redete er
sich ein. Er zwang sich zu einem Grinsen, legte Anne den Arm
um die Schulter und hielt sie fest. »Weißt du nicht mehr?
Gordy Farber hat gesagt, ein Hobby würde mir gut tun. Also
hab ich mir eins ausgesucht. Ich will Angeln gehen.«
Angeln. Das Wort hallte schauderhaft in Anne wider. Erst
wenige Stunden zuvor hatte Sheila Harrar ihr erzählt, daß ihr
Sohn verschwunden war, als er Angern gehen wollte.
Angeln mit Richard Kraven.
Und jetzt kam Glen und sagte ihr, das sei sein neues Hobby.
Natürlich war das nichts weiter als ein Zufall, doch es ließ sie
dennoch schaudern. Vermutlich war es nur eine vorübergehende Laune, etwas, an dem Glen schon nach einer Woche
das Interesse verlieren würde. Und wenn nicht, was dann?
Trotz aller logischen Gegenargumente wußte sie nun, daß ihr
erster Instinkt beim Betreten des Hauses sie nicht getrogen
hatte.
Etwas im Haus hatte sich verändert.
Ihr Mann hatte sich verändert.
30. Kapitel
Joyce Cottrells Leben war nicht ganz so verlaufen, wie sie sich
das vorgestellt hatte. Seit ihrem fünfzigsten Geburtstag hatte
sie alle Hoffnungen auf eine Ehe und eine eigene Familie
begraben. Ihre wenigen Verwandten waren alle verstorben. Ihr
Telefon klingelte so gut wie nie, und sie
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