Blitze des Bösen
herlaufen, eine Nähe vortäuschen, die
momentan gar nicht vorhanden war. Anschließend würde sie
sich große Sorgen über das machen, was geschehen war, so daß
sie sich bei der Arbeit nicht würde konzentrieren können.
Deshalb entschied sie, jetzt zu laufen und lieber am Abend
noch einmal über alles zu reden. »Machst du mir einen Kaffee,
bis ich zurück bin?« fragte Anne. Er nickte und sie eilte nach
unten.
Boots wartete an der Vordertür mit der Leine im Maul. Er
schaute sie so mitleidheischend an, als würde für ihn die Welt
untergehen, wenn sie ihn nicht mitnähme. Sie gab sich
geschlagen: »Also schön.« Anne ließ die Leine an seinem
Halsband zuschnappen und öffnete die Tür. »Aber glaub’ bloß
nicht, daß ich dich trage, wenn du nicht mithalten kannst.« Sie
lief bis zur Straßenecke, an der sie links Richtung Volunteer
Park abbiegen wollte und schaute zum Schlafzimmer hoch, um
Glen zu winken, falls er ihr nachsah.
Doch das tat er nicht.
Sie schüttelte den Kopf, als ob sie dadurch ihre schlechte
Laune loswerden könnte und erhöhte ihr Tempo. Vielleicht
sollte sie heute ein, zwei Extrarunden um das Staubecken drehen.
Vor Tagesanbruch hatte es geregnet. Die Straßen glänzten
und die Morgenluft war immer noch feucht. Anne sog die frische, kalte Luft tief ein und beschleunigte noch ein wenig, als
sie die Straße überquerte und im Park die kleine Steigung hinauflief, die zum Gewächshaus führte. Von dort aus konnte sie
entweder geradeaus weiter auf die Anhöhe, an den Tennisplätzen vorbei bis zum Wasserturm joggen oder aber im
lockeren Trab die ebene Strecke zum Kunstmuseum nehmen.
Wenn sie dann das Staubecken erreicht hatte, konnte sie den
Pfad laufen, der herumführte. Dort trafen sich immer die
Jogger, die unablässig ihren Puls und ihre Atmung beim
Laufen kontrollierten. Manche von ihnen verbrachten jeden
Morgen zwei Stunden damit – als ob sie dazu verurteilt wären,
ihre Körper in allerbeste Verfassung zu bringen. Obwohl Anne
nicht glaubte, daß durch regelmäßige Übung der
Alterungsprozeß aufgehalten würde, wußte sie, daß man sich
nach einem etwa halbstündigen Lauf sehr gut fühlte. Schon
allein deshalb, weil man durchgehalten hatte.
Anne entschied sich, die Strecke um das Staubecken herum
zu machen, weil sie dort mehr Runden mit weniger
Anstrengung als auf der anderen Route drehen konnte. Sie
begann ihren Lauf auf der Nordseite des künstlichen Sees,
nickte hier und da einigen der Leute zu, die ihr jeden Morgen
begegneten. Boots, der glücklich war, mit ihr Schritt halten zu
können, sprang ab und zu Leute an, weil er meinte, daß sie
seinem Frauchen zu nahe kamen, war aber sonst folgsam, bis
Anne beim Staubecken nach Nordwesten abbog. Anstatt ihr zu
folgen, lief er geradeaus weiter und zog an der Leine.
Anne hielt an und drehte sich um, um den kleinen Hund
auszuschimpfen. Aber als er spürte, daß die Leine gelockert
wurde, zog er erneut weiter und steuerte auf das Pflanzengestrüpp am Ufer des Staubeckens zu. Dann bellte er wie verrückt.
»Bei Fuß!« rief Anne.
Der Hund schaute nur kurz zu ihr, um danach gleich wieder
nach vorne zu drängen. So ging es fast eine Minute lang. Anne
rief den Hund, doch Boots rührte sich nicht vom Fleck.
Schließlich gab Anne nach, obwohl ihr klar war, daß es keine
geeignete Erziehungsmaßnahme war. »Na gut, wenn’s dir so
wichtig ist, dann hol’s dir.«
Sie ließ dem Hund seinen Willen. Aber anstatt herumzuschnüffeln, bis er den idealen Platz zum Verrichten seines
Geschäfts gefunden hatte, zerrte er immer stärker an der Leine.
Tief auf den Boden geduckt kletterte er den Hügel hinauf und
an der anderen Seite hinunter, wo er vorübergehend aus Annes
Blickfeld verschwand. Dann hörte sein Bellen auf: Was er auch
immer gesucht haben mochte, jetzt hatte er es offenbar
gefunden.
Als Anne beim Unterholz angelangt war, konnte sie den
Hund zunächst nirgendwo sehen. Doch dann entdeckte sie ihn.
Er hatte sich durch das Dickicht gezwängt und schnüffelte
eifrig an etwas, das sie nicht erkennen konnte.
Anne schob einen Zweig beiseite und schaute auf den
Boden. Die leeren, toten Augen Joyce Cottrells starrten ihr
entgegen. Anne meinte, sich übergeben zu müssen, doch sie
beherrschte sich.
Dann wollte sie der Frau, die sie sofort als ihre Nachbarin
erkannt hatte, helfen, aber ihr wurde klar, daß niemand Joyce
mehr helfen konnte.
Und dann rief sie schließlich um Hilfe.
34. Kapitel
»Wo ist
Weitere Kostenlose Bücher