Blitze des Bösen
allein zu Hause lassen konnte
und sie getrennt joggen gingen, hatten sie sich stets ein paar
Minuten genommen, in denen sie ihre Zweisamkeit genossen.
Als Glen im Krankenhaus gewesen war, war es genau diese
morgendliche Zeit mit ihm gewesen, die sie am meisten
vermißt hatte. Doch jetzt hatte sich alles verändert, auch wenn
er endlich wieder zu Hause war.
Letzte Nacht hatte sie es sogar abgelehnt, daß er sie berührte.
Heute morgen, als sie spürte, daß er bald aufwachen würde,
versuchte sie, den Gedanken zu verdrängen. Sie fühlte sich
schuldig und schämte sich. Spontan beugte sie sich über ihn
und gab ihm einen sanften Kuß auf die Lippen.
Sofort schloß sich Glens Arm um sie, zog sie näher, und
seine Lippen erwiderten den Kuß. Einen Sekundenbruchteil
fühlte sie eine panische Angst, machte sich aber gleich klar,
daß ihre Reaktion lächerlich war. Mein Gott, es war doch Glen!
Trotzdem mußte sie sich zwingen, nicht wegzurücken, sich
seiner Berührung nicht zu entziehen. Sie versuchte sich zu
entspannen, und als er dann mit seiner Zunge zärtlich ihre
Lippen leckte, ging sie auf ihn ein. Und als einen Moment später ihr Körper mit seinem verschmolz, fand sie keinen Grund
mehr, sich dagegen zu stemmen. Als seine Finger unter ihr
dünnes Nachthemd glitten, war seine Umarmung dieselbe wie
immer: aufregend, aber gleichzeitig warm und vertraut. Dann
schlang auch sie ihre Arme um ihn, drückte die Lippen auf
seine, und ihre Körper vereinten sich in Leidenschaft und
Zufriedenheit.
Glen liebte sie mit einer solchen Ungezwungenheit, die sie
ebenso erregte wie beruhigte. Der Glen, den sie liebte, der, von
dem sie noch wenige Stunden zuvor befürchtet hatte, daß er für
immer verschwunden sein könnte, war wieder der alte. Danach
kuschelte sie sich in seine Armbeuge, seufzte zufrieden und
flüsterte: »Schön, daß ich dich wiederhabe.«
Glen schloß seine Arme fester um sie. »Was meinst du
damit? Ich bin doch nicht erst seit heute morgen hier.«
Anne rollte sich aus seiner Umarmung, stützte sich auf ihren
Ellbogen und sah ihm ins Gesicht. »Aber zum ersten Mal
kommt es mir tatsächlich so vor.«
Glen stutzte, doch dann lächelte er. »Ich hab mich wohl ein
bißchen komisch benommen, wie?«
»Ein bißchen? Du warst völlig von der Rolle!« Glens
Lächeln erstarb, und Anne wünschte, sie hätte ihre Worte
zurücknehmen können. Aber dafür war es schon zu spät. Die
soeben noch verspürte Nähe, das Gefühl, alles käme wieder ins
Reine, war schlagartig in weite Ferne gerückt. »Gut, das war
vielleicht ein wenig zu hart ausgedrückt«, sagte sie schnell, um
alles wieder zurechtzubiegen. »Aber du mußt zugeben, das
ganze Zeug, das du gekauft hast…«
»Ich muß überhaupt nichts zugeben«, schnitt Glen ihr das
Wort ab, setzte sich auf und schwang die Beine aus dem Bett.
»Ich tu’ nur das, was mir der Arzt empfohlen hat. Alle Welt
sagt, Angeln ist ein tolles Hobby, also dachte ich mir, probier’s
mal aus.«
»Okay«, gab Anne nach. Sie war nur allzu gerne bereit, das
Thema zu beenden, wenn sie dadurch nur wieder die Stimmung
zurückholen konnte, die kurz vorher geherrscht hatte. Aber die
Gelegenheit war verpaßt; statt dessen stieg wieder dieselbe
unbestimmte Angst wie gestern abend beim Nachhausekommen in ihr hoch. Es war dieses schreckliche Gefühl,
daß irgend etwas vorging, das sie nicht einordnen konnte. Sie
schlüpfte aus dem Bett, schnappte sich ihren Morgenmantel
und verschwand im Ankleideraum, während Glen ins Badezimmer ging.
Er wusch sich das Gesicht, und sie schlüpfte in ihren Jogginganzug. Als sie auf dem Stuhl saß und die Schnürsenkel
band, fühlte sie, daß er sie beobachtete. Sie blickte auf, doch
seinem Gesichtsausdruck war nichts zu entnehmen. Auf seinen
Vorschlag, gemeinsam zu joggen, schüttelte sie den Kopf.
»Gordy hat gesagt, du sollst Spazierengehen. Von Herumrennen war nicht die Rede.« Doch was sie wirklich damit
meinte, war: Ich geh lieber allein, und sie konnte in seinen
Augen lesen, daß er den Sinn der Worte genau begriffen hatte.
»Du darfst dich nicht abhetzen, das weißt du doch«, fügte sie
hinzu und gab ihm einen Kuß, um ihrer Ablehnung den Stachel
zu nehmen. Seine mangelnde Erwiderung darauf zeigte ihr, daß
ihr das nicht gelungen war. Einen Moment lang fragte sie sich
sogar, ob sie ihn nicht doch zum Mitmachen auffordern sollte.
Aber sie wußte, was dann geschähe: sie würden schweigend
nebeneinander
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