Blogging Queen - Profijt, J: Blogging Queen
großen europäischen Hauptstädte, die osteuropäischen Aufsteiger, die Ferienparadiese
am Ende der Welt oder die Ziele, von denen man sich fragt, was zum Teufel die Passagiere tun werden, wenn sie dort ankommen,
wie zum Beispiel Zürich. Na klar, die Stadt ist sauber und schön gelegen, aber so langweilig, dass ich jedes Mal Angst habe,
augenblicklich nach der Landung ins Koma zu fallen und den Rückflug zu verpennen.
Der Blick auf die Konkurrenz hatte mir die Ziele meines Blogs etwas klarer gemacht: International und ungewöhnlich musste
es sein. Ich wollte das zeigen und beschreiben, was man sonst nirgendwo sieht und liest.
Aber wer wollte ICH sein?
Definitiv keine Stewardess. Aber auch keine Redakteurin, denn in der Branche kannte ich mich nicht aus, das würde sicher auffallen.
Ein Society-Girl?
Die Tochter aus altem, spanischem Adel (was der Wahrheit entsprach), die gut aussieht und ein privilegiertes Lebenim internationalen Jetset führt (was leider gelogen war).
Hm, darüber musste ich noch einmal nachdenken.
Wollte ich wirklich einen Blog schreiben über ein Partymäuschen, das zur Abwechslung schwarzhaarig statt blond war? Ein Partymäuschen
wird von der breiten Öffentlichkeit gern für etwas doof gehalten. Jemand wie mein Vater, ein erfolgreicher Unternehmer mit
entsprechendem familiärem Hintergrund kam dem Idealbild, das ich von mir zeichnen wollte, schon näher. Immerhin kann auch
eine Frau eine erfolgreiche Unternehmerin sein. Oder zumindest erfolgreich berufstätig.
Es müsste natürlich ein sehr exklusiver Beruf sein. Und international. Mit häufigen Reisen verbunden. Und mit großer zeitlicher
Unabhängigkeit. Ein Beruf, der ihr, also mir, zusätzlich zum familiären Hintergrund auch noch professionellen Ruhm brächte.
Und natürlich ein entsprechendes Einkommen. Und Einfluss. Ja, Einfluss musste auch sein. Fraglich war nur, in welcher Hinsicht.
Der Beruf bringt also Ruhm, Geld, Einfluss und … Zugang zu den exklusivsten Kreisen. Einladungen der wichtigsten Couturiers, Designer, Restaurants und Hotels.
Das Bild wurde langsam klarer: Die Frau, die ich in meinem Blog sein würde, war eine schöne, ständig umworbene, aber unabhängige
Frau, die – ja, das war es: die die Trends der Zukunft fand und erfand. Die Koryphäe, die mit einem einzigen Fingerzeig entschied,
ob die Grundfarbe der übernächsten Saison Violett oder Türkis hieß. Die Dekotrends kreierte, Lifestyle-Themen vorgab und schon
mehr als einmal einen neuen Hype begründet oder auch abrupt beendet hatte. Sie war Trendscout für eins der angesagtesten Hochglanzmagazine
der Welt. Sie unterstand direkt der Chefredakteurin und berichtete auch nuran sie. Sie war diejenige, die den direkten persönlichen Kontakt zu den Branchengrößen hielt. Zu den Couturiers, den Hairstylisten,
den Architekten, Designern, Unternehmensvorständen und allen anderen, die in ihrem jeweiligen Geschäftsfeld die Nase vorn
hatten. Und sie entdeckte die neuen, die noch unbekannten, die kommenden Größen. Sie ging in Szene-Boutiquen, beobachtete
die Menschen auf der Straße, lauschte in Bars auf das, was die anderen sagten. Eine weltgewandte Frau, die nicht nur dazugehörte,
sondern ganz vorn dabei war. Viel weiter vorn als Susan Walker. Ich würde die Frau sein, die als Erste wusste, was demnächst
in ist. Die von jeder Frau beneidet würde. Von den einen bewundert, von vielen geliebt oder von manchen auch gehasst, aber
immer beneidet. Die wollte ich sein. Und die würde ich bald sein. Die virtuelle Welt würde mir ein neues Ich bescheren. Ich
brauchte nur noch einen Namen. Mein Spitzname Lulu klang irgendwie zu unseriös. Außerdem gab es ein Parfum mit diesem Namen,
damit wollte ich nicht verwechselt werden. Also vielleicht Luisa? Aber mein zweiter Vorname klang altbacken, der erste, Maria,
sogar noch mehr, vom dritten, Rigoberta, ganz zu schweigen. Aber wie wäre es mit Millie, dem Kosenamen, den meine Ersatzoma
in der Krabbelgruppe mir gab? Der klang weder langweilig noch unseriös.
Millie’s Magazine – 16. Mai
Sie kennen mich nicht. Mein Name steht nicht im Impressum des Magazins, für das ich arbeite, denn ich schreibe nicht über
Trends – ich entdecke sie. Manche mache ich auch. Ich bin Trendscout. Mein richtiger Name tut nichts zur Sache. Für Sie bin
ich Millie. Mein Job ist es, Trends dort aufzuspüren, wo sie entstehen. Das gelingt nicht durch akademische
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