Blogging Queen - Profijt, J: Blogging Queen
Nachbarin, die auf derselben Etage wohnte, meine Post aus dem Briefkasten im Hauseingang genommen
und durch den Briefschlitz in meine Wohnung geworfen. Es war nichts Interessantes dabei. Werbebriefe, ein Modekatalog, eine
Postkarte von meiner Mutter zum Geburtstag. Die Karte kam aus London, wo ihr Mann häufig beruflich zu tun hatte. London ist
ein gutes Stichwort, dachte ich. Dann suchte ich den Foto-Laptop und meine Reisetagebücher zusammen und verließ die Wohnung
mit Bild- und Infomaterial in Hülle und Fülle.
Millie’s Magzine – 17. Mai
Trend des Tages:
Natürlichkeit
Ich lud das Foto hoch, das mir beim Stichwort London eingefallen war. Es zeigte ein kleines Mädchen, vier oder fünf Jahre
alt, das auf einem roten Teppich stand. Es trug ein blaues Kleid mit weißen Blümchen darauf. Kleine Sträußchen echter Gänseblümchen,
die auf Englisch
daisy
heißen, waren in ihre Schuhbänder und in ihr Haar geflochten … Das Mädchen blickte in die Kamera, schlug aber in dem Moment, in dem ich auf den Auslöser drückte, die Hände vor das Gesicht.
Durch die gespreizten Finger konnte man die dunklen, weit aufgerissenen Augen gerade noch erahnen.
Ich erinnerte mich genau an diese Situation. Es war am 1. Mai, dem Namenstag für Daisy, ganz frühmorgens. Ich musste zum Rückflug. Die Straßen waren leer, es war still und etwas neblig,
aber warm. Am Abend vorher hatte es am Leicester Square eine Hollywood-Film-Premiere gegeben, und der rote Teppich, über den
die Hauptdarsteller gekommen waren, lag noch vor dem Kino. Das Mädchen, von dem ich einfach mal annahm, dass es Daisy hieß,
ging etliche Meter vor mir an der Hand seines Vaters und wunderte sich über den roten Teppich, der plötzlich unter seinen
Schuhen auftauchte. Da nahm der Vater die Kleine hoch, wirbelte sie durch die Luft und sagte, eines Tages werde sie auch ein
Star sein und über diesen roten Teppich gehen. Er setzte sie auf den Stufen ab, die zum Eingang führten, und verneigte sich
vor ihr, während sie kichernd Pirouetten drehte. Ich applaudierte ihr, sowohl Vater als auch Tochter verneigten sich lachend,
und ich schoss das Foto mit meinem Handy, weil ich den Fotoapparat geradenicht parat hatte. Im Hintergrund ist noch ein Plakat der Filmpremiere zu sehen.
Diese Fotos von kleinen Begebenheiten am Rand großer Events würden meinen Blog authentisch aussehen lassen. Als Trendscout
würde ich meine Kamera nicht auf die Posen der Stars halten, sondern auf die Leute drum herum. Solche Fotos machte nur ein
Insider, den die Anwesenheit des Megastars in direkter Nähe ungerührt ließ und der eigentlich schon wieder auf der Suche nach
dem nächsten Star war. Davon hatte ich unzählige.
Natürlich hatte ich in den letzten Jahren auch jede Menge Fotos von Stars gemacht. Das ist gar nicht so schwer, wie viele
Leute meinen, wenn man weiß, wo man suchen muss. Zum Beispiel in VI P-Lounges auf Flughäfen. Oder im Flieger selbst, wenn das Schicksal gnädig ist und einen Dienst in der First zuteilt. Viele dieser
Fotos zeigten bekannte Persönlichkeiten aus direkter Nähe in eher privaten Situationen. Penelope beim Frühstück. Cameron beim
Einsteigen in eine Limousine – fotografiert aus dem Inneren der Limousine (ich hatte unauffällig abgedrückt, als ich ihr Gepäck
von rechts hineinlegte, während sie von links einstieg). Tiger, der sich die Schuhe zubindet. Diese Bildchen konnte ich einstreuen,
wenn mir der Sinn danach stand, aber eigentlich würde der Fokus auf dem noch nie Gesehenen liegen. Ungewöhnliche Perspektiven,
ungewöhnliche Szenen am Rand der großen Events, das Neue, noch Unentdeckte, das ein Trendscout bemerkte, während alle anderen
daran vorbeisahen.
Ich konnte es kaum erwarten, dieses Leben zu beginnen. Vor Langeweile jedenfalls hatte ich keine Angst mehr.
Vier
Fünf Tage vergingen wie im Flug. Ich gewöhnte mich an das Programm, wurde geübter darin, Fotos hochzuladen, und schrieb über
die Events, die zurzeit ohne mich in der Welt stattfanden, wie das Internationale Schwimmtreffen in Monaco, das Filmfestival
in Cannes, das Festival Musicale Fiorentino, das Covent Garden May Fayre and Puppet Festival oder das Stierkampf-Festival
in der Arena von Madrid, tat aber natürlich so, als sei ich dabei. Das war nicht so schwierig, weil ich tatsächlich schon
oft dabei gewesen war. Ich checkte im Internet, welche Reden gehalten worden waren, ob es besondere
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