Blogging Queen - Profijt, J: Blogging Queen
wieder gemeldet, obwohl wir doch unbedingt reden mussten, wie sie gesimst hatte. Nun, vermutlich steckte sie
gerade wieder mit irgendeinem Mann unter einer Decke.
Abgesehen von Jasmin war ich praktisch ohne Kontakt zur Außenwelt. Außer Sabine kannte ich eigentlich niemanden in Düsseldorf.
Das war mir noch nie so aufgefallen, aber es war auch nicht schlimm, weil ich ja jetzt meinen Blog hatte. Den größten Teil
des Tages bemerkte ich ja noch nicht einmal, dass ich in Düsseldorf war. Im Gegenteil. Ich sichtete Fotos, suchte nach Aufhängern
für einen Blogeintrag, ersann Storys dazu und recherchierte im Internet über Veranstaltungen oder Ereignisse, über die ich
berichten könnte. Ich lebte wie selbstverständlich in meiner virtuellen Welt. Die Rolle als Trendsetterin warmir inzwischen vollkommen in Fleisch und Blut übergegangen. Sie war ja auch genau das, was ich mir immer erträumt hatte. Und
jetzt wurde dieser Traum endlich Wirklichkeit. Zumindest in meiner Fantasie.
Im echten Leben, also an diesem Freitagabend, ging ich mit Sergeant Pepper spazieren, bis er müde wurde, dann reihte ich mich
in die Menge am Rheinufer ein. Kurz überkam mich die Frage, wie ich mich wohl vorstellen würde, wenn mich gleich jemand nach
meinem Namen fragte. Würde ich spontan Millie sagen? Das wäre nicht gut. Offiziell war Millie gerade in Asien unterwegs. Hongkong,
Singapur und Kuala Lumpur hatte ich als nächste Ziele definiert und Fotos zusammengesucht. Die würde ich morgen und übermorgen
abarbeiten. Denk dran, sagte ich mir also, dass dein Name Lulu ist. Nicht Millie. Nicht hier jedenfalls. Ich unterdrückte
ein Lächeln. Hier nicht. Aber im Netz schon.
Ich flanierte an den Strandbars und Restaurants vorbei, aß einen Sylter Fischteller, trank einen Caipirinha, der für seinen
Preis viel zu wässrig war, und haderte kurzzeitig mit meinem Schicksal, das mich für mindestens weitere acht Wochen in dieser
Stadt festhielt, während überall auf der Welt mehr los war als hier. Ich verfiel ins Träumen, plante neue Beiträge für meinen
Blog und stellte irgendwann fest, dass ich zitterte. Es war kalt geworden, und meine noch immer angegriffene Konstitution
erlaubte kein langes Herumhängen in einem Liegestuhl. Mit steifen Gliedern kämpfte ich mich hoch, reckte und streckte mich,
konnte aber keine Begeisterung mehr für eine ausgedehnte Abendunterhaltung aufbringen und schlich nach Hause. Verfroren und
allein. An einem Freitagabend in Düsseldorf.
Am Samstagmorgen noch vor acht Uhr lud ich Partyfotos in meinen Blog. Das ging einfacher, als ich gedacht hatte. Ich hatte
Szenen aus Clubs in New York, Singapur, London und Peking herausgesucht, nahm die wildesten, machte sie absichtlich ein bisschen
unscharf und schrieb einen Blogeintrag über die heiße Freitagnacht, von der ich gerade erst zurückgekommen sei. Nun wollte
ich aber ein paar Stunden schlafen.
Abgesehen von den Kassiererinnen in Supermärkten oder den Bedienungen gestern Abend am Rheinufer hatte ich seit sechs Tagen
mit keiner Menschenseele gesprochen.
Das änderte sich um zehn Uhr. Jasmin rannte mich förmlich um, bevor ich die Tür auch nur richtig geöffnet hatte.
»Ich habe deine Blogadresse per SMS verschickt mit der Aufforderung, sie weiterzugeben. Natürlich, ohne deinen Namen zu nennen.
Lass uns sehen, wie viele Klicks du inzwischen hast.«
Ich wunderte mich über Jasmins Begeisterung, wollte ihr aber auch nicht den Spaß verderben und schaltete den Laptop an. Ein
paar Minuten später riss ich die Augen auf. Der Besucherzähler war inzwischen dreistellig, und es gab zweiundzwanzig Kommentare
auf der Seite. Robbie lag bei der Anzahl der Kommentare knapp vor dem Gänseblümchen-Mädchen, einige hatten die barfüßige Opernbesucherin
in Sydney kommentiert, und drei Beiträge bezogen sich allgemein auf den Blog. Alle waren positiv.
»Wem zum Teufel hast du diese Info geschickt?«, fragte ich fassungslos.
Jasmin grinste. »Allen Kolleginnen, allen Freundinnen und vor allem meiner Schwägerin Silke. Sie ist ein Social-Media-Junkie,
hat zweitausend Freunde bei Facebook oder Twitter, keine Ahnung, ich kenne mich da nicht soaus. Jedenfalls verbreitet Silke eine Neuigkeit schneller als die Tagesschau und kann eine vermutlich repräsentative Bevölkerungsumfrage
innerhalb von zwei Stunden durchführen.«
Ich ging Kaffee kochen, während der Besucherzähler des Laptops weiter rotierte, und war so in
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