Blondine ehrenhalber
konzentrier dich auf die bevorstehende Aufgabe: Kandidaten mustern. Oder potentielle Seelenfreunde herausfinden. Und da verschwimmen die Konturen bereits wieder, dachte Amanda.
Der Mann ließ seine Anmeldekarte auf den Tisch fallen und stellte sich vor. Er war nett, süß. Der würde einen knuffigen kleinen Bruder abgeben, dachte Amanda. Clarissa überflog seine Karte. »Pierrepont Street?«, fragte sie. »Das ist eine ganz schön noble Gegend für einen jungen Kerl wie dich.«
»Ich wohne noch bei meinen Eltern«, antwortete er. »Mutter denkt, in ein oder zwei Jahren bin ich alt genug, um einen Job zu finden und auf eigenen Füßen zu stehen.«
»Der Nächste!«, rief Clarissa.
Nummer zwei: »Ich hätte gern gewusst, ob das >so viel Kaffee, wie man trinken kann< heißt, dass man ihn hier trinken muss. Kann ich welchen mit nach Hause nehmen? In einer Thermoskanne? Ich sammle nämlich Thermoskannen. Fünfhundert Stück habe ich schon, sie stammen aus allen Ecken unseres großen Landes.«
Nummer fünf: »Ich hoffe, ich muss für diesen Wettbewerb nichts Doofes machen wie Singen oder Tanzen, denn Singen und Tanzen — nein danke. Das ist was für Schwulis. Sollen sie sich ihren schwulen Musikkram doch wohin stecken.«
Nummer neun: »Ich soll also für die Miezen herhalten. So weit habe ich es kapiert. Ich bin die Hure und ihr seid die Zuhälter. Habe ich Recht? Ihr seid meine Zuhälter, richtig? Das stinkt doch zum Himmel! Was für eine Kuppelaktion! Richtig? Okay, einverstanden. Wo unterschreibe ich?«
Neunzig Minuten später hatten sie bereits 16 Männer wieder hinausbugsiert. »Sind wir zu streng?«, fragte Amanda.
»Solange genug Kandidaten zur Auswahl stehen, können wir uns auch ein richtiges Auswahlverfahren leisten«, antwortete Clarissa. »Nummer 17!«
Amandas Augen wanderten in die Höhe, um Kandidat Nummer 17 zu studieren, der bereits auf dem Weg zu ihrem Tisch war. Der Mann war von großer Statur und hatte kräftige Beine, die ihn zu tragen schienen, wohin er wollte. Seine Bekleidung bestand aus einem schweren Parka über einem ausgeblichenen Flanellshirt, weich gespült von Dutzenden von Waschprozeduren, und dunkelblauen, steifen Jeans. Amanda meinte ein Glitzern und Funkeln in seinen Augen zu entdecken, seine Lippen — fleischig und rot — erinnerten an ein Leuchtfeuer in dem rautenförmigen Gesicht. Es kostete Amanda einige Mühe, ihren Blick von diesen Lippen abzuwenden. »Hallo!«, sagte sie.
Er drückte Amanda seine Karte in die Hand und bettete seine Lippen zu einem Lächeln, so dass sie sich fühlte wie angenagelt und nur ein Glotzen zustande brachte. Clarissa hüstelte höflich und nahm Amanda die Karte aus der Hand.
»Charles Peterson, Spitzname >Chick<. Student für Umweltbiologie an der Columbia-Universität«, las sie vor. »Globetrotter, Bergsteiger, 32 Jahre alt. Bist du für einen Studenten nicht etwas zu alt?«
»Im Sommer nach dem College wollte ich die drei höchsten Berge der westlichen Hemisphäre besteigen«, antwortete er. »Aus dem einmonatigen Sommertrip wurden zehn Jahre. Ich bin erst seit kurzem wieder in Amerika. Davor hielt ich mich längere Zeit in Jamaica auf.« Seine Stimme klang hoch — wie um eine Oktave verschoben, verglichen mit seiner Größe.
»Nimm es uns nicht übel, aber der Wettbewerb ist nur für Heteros«, sagte Clarissa.
»Ihr glaubt, ich bin schwul?« Er lief rot an wie eine Tomate, und Amanda zuckte zusammen, als sie seine Verlegenheit spürte. Dass er schwul sein könnte, war ihr keine Sekunde lang in den Sinn gekommen, und dafür hatte sie nun wirklich einen guten Riecher.
»Wenn du nicht schwul bist, dann beweis es!«, forderte Clarissa ihn auf.
Er visierte die Spitze von Amandas Nase an und sagte: »Wenn du keinen Pulli anhättest, wäre ich schon dabei.« Er meinte ihren pinkfarbenen Mohairpulli mit rundem Halsausschnitt, der ihren rosigen Teint und ihr braunes Haar noch besser zur Geltung brachte. Immer, wenn sie männermordend aussehen wollte, zog Amanda diesen Pulli an: der Inbegriff an Weiblichkeit bei Frauen mit Brüsten, die groß genug, und Haaren, die lang genug waren. Wenn sie ihre Karten richtig ausspielte, war es gut möglich, dass sie später am Abend mit Chick Peterson zusammen den Pulli auszog. Nein, nein, ermahnte sie sich. Kontrolle, Mädchen.
Er sagte: »Wenn ich an einer Frau hinunterwandere, zuckt meine Zunge nie. Die Klitoris ist sehr sensibel, vor allem kurz vor dem Orgasmus. Sie zieht sich immer mehr zurück, je
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