Blood and Chocolate - Curtis Klause, A: Blood and Chocolate - Blood and Chocolate
dass du dir das nicht einfach ausgedacht hast?«, sagte Rafe zu Orlando.
Kollektives Knurren erhob sich im Kreis. Ulf zuckte zusammen.
»Die Stimme des Gesetzes lügt niemals«, rief jemand.
»Hört auf!«, brüllte ein anderer, und weitere stimmten in das Geschrei ein, bis Orlando erneut die Arme hob.
Grelles silbernes Licht verwandelte das faltige Gesicht des alten Mannes in eine zerfurchte Landschaft, uralt wie der Mond selbst. »So lautet das Gesetz«, sagte er mit einer Stimme, die das Gesetz war. »Ihr werdet gehorchen oder sterben.«
Die Männer bewegten sich langsam durch die Menge auf die Fünf zu und kreisten sie ein. Ulf sah hierhin und dorthin, die Zähne in Panik gefletscht. Das Grinsen in den Gesichtern von Gregory und Finn verschwand. Dann sah Vivian nichts mehr, weil breite Rücken und Schultern ihr die Sicht versperrten.
»Komm schon, Rafe«, hörte sie Gregorys flehende Stimme. »Ein andermal, okay?«
»Ja«, fiel Willem ein. »Es wird noch weitere Chancen für uns geben.«
Eine Minute herrschte Schweigen.
Schließlich erklang Rafes Stimme. »Ihr könnt mich mal.« Es war der Fluch eines Unterlegenen.
Die dichte Wand aus Männern lockerte sich auf, und Vivian erhaschte einen Blick auf die Fünf, die gesenkten Hauptes durch die Menge gingen.
Gabriel versetzte Bucky einen Schlag auf den Rücken und sagte etwas, das diesen zum Lachen brachte. Die Männer wandten sich ab, um den Kreis zu verlassen, als sei dies ihr Stichwort. Bucky erzählte den Witz einem anderen weiter. Als Raul an seiner Ehefrau Magda vorüberkam, packte er sie und küsste sie innig. Auf ein Quietschen hin drehte Vivian sich nach rechts und sah Rolf und Renata, die ähnlich fest umschlungen dastanden. Esmé starrte zu Boden, und Vivian wusste, dass sie sich nach jemandem sehnte, den sie küssen konnte, um ihm Glück zu bringen.
»Komm schon«, flüsterte Vivian und zupfte am T-Shirt ihrer Mutter.
Als sie den Rand der Lichtung erreichten, zog sich Esmé das T-Shirt über den Kopf. Vivian zog ihre Bluse aus und schlüpfte aus ihren Shorts. Im Nu waren sie beide genauso nackt wie die anderen, die sich in einem Halbkreis versammelten und auf die Lichtung hinaussahen.
Die Kämpfer stellten sich in einer Reihe in der Mitte der Lichtung auf, den Zuschauern den Rücken zugekehrt, die Gesichter dem aufgehenden Mond zugewandt. Astrid, die am Ende der Reihe stand, sah neben den anderen
lächerlich klein aus, wie ein Kind, das die Erwachsenen nachmachte. Siebzehn Männer standen aufgereiht, und manche waren von hinten nicht zu erkennen. Gabriel allerdings war unverkennbar; einen halben Kopf größer als alle anderen, und nur der blonde Neuankömmling hatte so breite Schultern wie er.
Esmé versuchte, die Männer zu erraten. »Das da neben Raul ist Jean«, sagte sie zu Renata. »Den festen kleinen Hintern würde ich unter Tausenden wiedererkennen.«
Renata kämpfte ein Lachen nieder. »Ssssch!«
Einen Augenblick füllte nur das Sirren und Zirpen der Insekten die Luft.
Dann setzte ein Rascheln im Wald jenseits der Lichtung ein, unter dem aufgehenden Mond. Es kam immer näher, und mit ihm wurde Stöhnen laut. Eine blasse Gestalt schälte sich aus der Dunkelheit, und Persia Devereux trat hervor, in ein silbernes Gewand gekleidet. In den Händen trug sie eine silberne Schüssel, so reif und voll wie der Mond. Sie sang ein klagendes leises Lied, das wie das Herz eines wilden Tieres pulsierte. Tante Persia war noch weit entfernt, doch die Musik dröhnte in Vivians Ohren. Sie wiegte sich dazu.
Die alte Frau bot jedem Kämpfer die Schüssel an. »Trinke vom Mond«, sagte sie. Und während sie die Reihe entlangging, bedeckten sich Rücken mit Fell, verzogen sich Glieder, wuchsen Haarbüschel aus Ohren. Vivian spürte als Reaktion darauf ein Knirschen in der Wirbelsäule – heftiger Schmerz, süßer Schmerz – und eine warme Woge Blut in den Venen, die zu ihren Händen und
Füßen strömte, so dass ihre Nägel unvermittelt zu Krallen wuchsen.
Tante Persia erreichte Astrid als Letzte. Die einzelne weibliche Gestalt war bereits fuchsrot, und obwohl sie die Schüssel immer noch mit Fingern halten konnte, schleckte sie mit ihrer Schnauze daraus wie eine ägyptische Gottheit. Als Astrid den Kopf hob, eine Perle Flüssigkeit an der schwarzen Lippe, schrie Tante Persia ein kehliges Wort in einer uralten Sprache und warf sich die Schüssel über den Kopf.
Vivian stieß heulend die Erwiderung aus, die sie als Junges gelernt hatte, und fiel
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