Blood - Ein Alex-Cross-Roman
diesen Tagen in Washington herrschte. Vielleicht hing das mit den Terroranschlägen der letzten Jahre zusammen. Anscheinend wollte niemand mehr den Versuch wagen, Krisensituationen mit Hilfe von Verhandlungen zu lösen. Ich wusste nicht genau, auf welcher Seite ich in dieser Frage stand, konnte aber beide verstehen.
Ned Mahoney und ich würden dem ersten Sturmtrupp angehören. Wir sammelten uns auf der Fourteenth Street, direkt hinter dem belagerten Gebäude.
Die meisten unserer Männer liefen unruhig hin und her, führten Selbstgespräche, versuchten konzentriert zu bleiben.
»Das ist eine ganz miese Nummer«, sagte Ned. »Die SWAT-Typen wissen, wie wir funktionieren. Wahrscheinlich sogar, dass wir heute Abend reingehen.«
»Kennst du welche von denen? Von den SWAT-Leuten?«, wollte ich wissen.
Ned schüttelte den Kopf. »Wir werden normalerweise nicht zu denselben Partys eingeladen.«
27
Wir schlüpften in vollständig gepanzerte, schwarze Kampfanzüge, und sowohl Ned als auch ich hatten eine MP-5 in der Hand. Bei einer nächtlichen Stürmung ließ sich nie allzu viel vorhersagen, aber in diesem Fall, wo SWAT-Typen in dem Haus saßen, das das HRT stürmen wollte, noch weniger.
Ned empfing über Kopfhörer eine Nachricht und sagte zu mir: »Es geht los, Alex. Immer schön ducken. Diese Typen sind genau so gut wie wir.«
»Das gilt auch für dich.«
Doch dann geschah das Unerwartete. Und dieses Mal war es gar nicht so schlimm.
Die Haustür ging auf. Ein paar Sekunden lang war nichts zu erkennen. Was ging da drinnen vor sich?
Dann trat eine ältere, mit einem Laborkittel bekleidete Frau in den Strahl der auf die Tür gerichteten Scheinwerfer. Sie hielt die Hände hoch über dem Kopf und sagte: »Nicht schießen.«
Ihr folgten noch weitere Frauen in Laborkitteln, alte und junge, sowie zwei Jungen, die aussahen wie zwölf, höchstens dreizehn.
Hinter den Absperrungen wurden Namen gerufen. Die Leute weinten vor Freude und klatschen überglücklich in die Hände.
Dann klappte die Haustür krachend ins Schloss.
Der Exodus war beendet.
28
Die Freilassung von elf Laborarbeiterinnen stoppte die Erstürmung durch das Hostage Rescue Team und ließ erneute Gespräche folgen. Der Polizeipräsident und der Leiter der Kriminalpolizei ließen sich am Schauplatz sehen und sprachen mit Captain Moran, ebenso einige Vertreter der Stadtverwaltung. Obwohl es schon sehr spät war, waren immer noch verschiedene Kamerateams damit beschäftigt zu filmen.
Gegen drei Uhr wurde uns mitgeteilt, dass wir jetzt doch noch stürmen sollten. Dann gab es eine erneute Verzögerung. Beeilen und abwarten, beeilen und abwarten .
Um halb vier dann das Startkommando. Das endgültige, so hieß es.
Wenige Minuten nach halb vier rannten Ned Mahoney und ich gemeinsam mit einem Dutzend weiterer Angehöriger des HRT auf einen Seiteneingang des Gebäudes zu. Der Vorteil einer kugelsicheren Ausrüstung besteht darin, dass sie zumindest teilweise vor ansonsten tödlichen Geschossen schützt. Der Nachteil ist jedoch, dass man deutlich unbeweglicher und längst nicht mehr so schnell ist, wie es vielleicht notwendig wäre oder wie man selbst gerne sein möchte, und dass man nur stoßweise und unter heftigem Röcheln atmen kann.
Scharfschützen nahmen die Fenster unter Beschuss, um den Widerstand aus dem Inneren so weit wie möglich zu unterdrücken.
Mahoney nannte diese Phase immer »fünf Minuten Panik und Nervenkitzel«, ich hatte jedes Mal fürchterliche Angst davor. Für mich waren es eher »fünf Minuten zwischen Himmel
und Hölle«. Ned und ich hatten schon etliche Häuser gemeinsam gestürmt, deshalb konnte ich mich nicht einfach heraushalten.
Da zerriss eine donnernde, ohrenbetäubende Explosion die Hintertür.
Plötzlich war die Luft voller umherwirbelnder, schwarzer Rauchwolken und Trümmer, wir rannten mitten hindurch. Ich hoffte, dass ich mir im Verlauf der kommenden Minuten keine Kugel im Kopf oder einem anderen ungeschützten Körperteil einfing. Ich hoffte, dass in dieser Nacht niemand sterben musste.
Ned und ich standen sofort unter Beschuss, und wir konnten nicht einmal sagen, wer zum Teufel da auf uns feuerte. Drogendealer oder Angehörige der SWAT. Vielleicht ja beide.
Maschinenpistolen und Handgranaten sorgten für dröhnenden Lärm, der uns auf unserem vorsichtigen Weg eine Wendeltreppe hinauf begleitete. Mittlerweile hatte sich eine enorme Feuerkraft im Haus versammelt, vielleicht mehr, als das Gebäude verkraften
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