Blood Lily Chronicles 02 - Zerrissen
er. »Jedenfalls im Moment. Sie hat kein Wort gesagt, ist aber wach. Bei Bewusstsein. Und von unserem Freund habe ich, seit du gegangen bist, nichts mehr gesehen.«
»Freund«, schnaubte ich. »Genau. Deiner vielleicht.« Und obwohl das ein Witz war, bin ich mir sicher, dass Deacon zusammenzuckte.
»Lily?«, sagte Rose und bewegte sich unruhig auf ihrem Bett hin und her.
Rasch ging ich zu ihr und presste ihr meine Hände auf die Wangen. Beinahe hätte ich ihr in die Augen geschaut, aber im letzten Moment fiel es mir wieder ein, und ich lenkte den Blick schnell zu den sechs Sommersprossen auf ihrer Nase. Kurz überlegte ich, ob ich nicht doch mal schnell einen Blick in ihren Kopf werfen sollte. Aber wenn Johnson da drin war, würde er sich vielleicht mit einklinken und sogar versuchen, mich zu manipulieren. Keine Ahnung, ob dieser Dämonenarsch über solche Fähigkeiten verfügte, riskieren wollte ich es jedenfalls lieber nicht. Mir reichte es schon, dass er seine Fänge in Rose geschlagen hatte. Mich würde er nicht auch noch kriegen!
»Lily, was ist los? Irgendwas stimmt doch nicht mit mir! Was hat er mit mir gemacht? Ich kann ihn spüren, da drinnen, in mir, und das ist ...« Sie fing an zu schluchzen. Ich konnte nichts tun, außer sie in den Arm zu nehmen, sie zu streicheln und ihr zu versprechen, dass alles wieder gut werden würde.
Ich hatte Rose schon so manches versprochen. Und nie hatte ich meine Versprechen halten können. Aber diesmal war ich wild entschlossen.
»Wo ist er?«, fragte ich. »Hört er zu? Sitzt er innen drin und beobachtet alles? Lacht er über uns?«
»Er schlummert«, erwiderte Deacon. »Und ob er uns hört, lässt sich nicht rausfinden.«
Ich zog meine Schwester näher an mich. Nein, ich würde sie auf keinen Fall anders behandeln. Ich würde mich nicht davon abhalten lassen, sie zu berühren, nur weil ich dann auch Lucas Johnson berührte.
Rose verbarg ihr Gesicht an meiner Schulter, und ich blickte zu Deacon hoch, weil mir plötzlich auffiel, dass in unserer netten kleinen Runde jemand fehlte. »Wo ist der Rest von ihm?«
»Weg.« Sein Gesichtsausdruck war so abweisend wie der Klang seiner Stimme.
»Bist du verrückt geworden? Du hast ihn gehen lassen?«
Er setzte die Brille ab, und ich konnte zum ersten Mal den dunklen Bluterguss über seinem linken Auge sehen. »Ich nicht.« Er ließ seinen durchdringenden Blick von mir zu Rose wandern. Als mir klar wurde, dass Rose - oder besser gesagt: Johnson - den mundlosen Körper freigelassen hatte, vollführte mein Magen ein kompliziertes akrobatisches Kunststück.
»Aus Respekt vor dir, Lily, habe ich ihren Körper nicht verletzt. Aber wenn du dein neues Haustier nicht bändigst und mich dieser Wichser noch ein Mal anfasst, dann reiße ich ihr den Leib auf, das schwöre ich dir!«
Ein Schauder überlief mich. Das glaubte ich ihm sofort. Ich konnte ihn sogar verstehen. Aber wenn er Rose auch nur ein Haar krümmte, würde ich ihn umbringen.
Eine ausweglose Situation.
Ich schnaubte, drückte Rose einen Kuss auf die Stirn, stand auf und lief im Zimmer auf und ab. Ich konnte einfach nicht still sitzen. Wenn ich mich nicht bewegte, konnte ich nicht denken, aber genau das war gerade dringend nötig.
»Mal im Ernst«, sagte ich und beschloss, Deacons Drohungen gegen meine Schwester einfach zu ignorieren und zu hoffen, dass es nie so weit kam. »Doppelagentin zu spielen, wenn ich allein arbeite, ist das eine. Da kann ich schon mal so tun, als hätte ich einen Kampf verloren, das kriege ich hin. Irgendwie finde ich schon eine Möglichkeit, mich nicht zu verraten, auch ohne die Guten zu töten.«
»Mit einem Partner geht das nicht.«
»Ich weiß.« Auch wenn Clarence mir versichert hatte, dass die, die die Relikte bewachten, weder gut noch böse waren, glaubte ich ihm kein Wort. Wieso sollte er ausgerechnet diesmal nicht lügen? Alles andere war schließlich auch eine Lüge gewesen.
Da fiel mir auch nicht ein einziger guter Grund ein. Also lag ich wohl nicht ganz falsch mit meinem Verdacht: Die Wachen waren unschuldig, und ich sollte sie töten.
Kollateralschaden, dachte ich und spürte, wie sich mein Magen verknotete. Hatte Deacon nicht genau das über Rose gesagt? Kollateralschaden.
Für mich war sie das ganz und gar nicht.
Ich hatte schon einmal getötet, damit ihr nichts geschah. Ich konnte es auch wieder tun.
»Irgendwie werde ich es schon hinkriegen! Irgendwas wird mir schon einfallen, wie ich das Töten vermeiden kann.«
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