Blood Lily Chronicles 03 - Versuchung
dieser Einschätzung an, schwang mich aber gleichzeitig über den Tresen und hätte beinahe das kleine Arrangement aus Gin- und Wodkaflaschen umgestoßen.
»Rachel!« Ich griff ihr unter die Achseln und hob sie hoch. »Rachel, verflucht noch mal! Sag was!«
Sie zitterte am ganzen Körper wie nach einem richtig schlimmen Horrortrip. Ihre Zähne klapperten. Ich umarmte sie und drückte sie an mich, um sie zu wärmen.
»Eine Decke«, sagte ich zu Rose, aber die hatte das Pub schon halb durchquert, noch ehe ich die Worte ganz ausgesprochen hatte.
»Rach! Rachel! Geht’s dir gut? Scheiße, das hättest du nicht tun sollen.«
»Nichts«, bibberte sie. »M-mir f-fehlt nichts.«
»Das war schwarze Magie«, fauchte ich sie an. »Du hast den Mist doch aufgegeben. Ich hätte nie zulassen dürfen, dass du ...«
Sie packte mein Handgelenk. »Meine Entscheidung«, sagte sie, diesmal mit fester Stimme und klarem Blick. »Das war meine Entscheidung.« Sie holte Luft. Ihre Lungen rasselten, als wären sie voll Schleim. »Und sie ist nur schwarz, wenn du sie für dunkle Zwecke einsetzt.« Sie legte mir die Hände auf die Wangen. »Ich habe es für dich getan. Für einen guten Zweck.«
Dann schloss sie die Augen wieder und sackte vor Erschöpfung in sich zusammen.
Ich hielt sie fest in den Armen und hoffte bei Gott, sie hatte recht.
7
»Wo ist er? Wo ist er?«, rief Rose, als sie mit der Decke angesaust kam. »Hat sie ihn gefunden? Weiß sie, wo er ist?«
»Brücke«, flüsterte Rachel mit belegter Stimme.
»Ganz ruhig!« Ich drückte ihr ein feuchtes Geschirrtuch auf die Stirn. »Bleib erst mal eine Minute sitzen.«
»Meine Fresse«, keuchte Rose, als sie knapp vor dem Tresen zum Stehen kam. »Meine Fresse, meine Fresse. Geht es ihr gut?«
»Ich glaube schon«, antwortete ich.
»Mir fehlt nichts.« Rachel wollte sich so langsam hochrappeln, doch ich drückte sie wieder runter. »Vergiss es! Du bleibst schön sitzen und trinkst erst mal einen Brandy. Du siehst beschissen aus.«
»Herzlichen Dank.« Stöhnend presste sie sich die Fingerkuppen gegen die Schläfen. »Aber zum Brandy sage ich nicht Nein.«
Ich gab Rose ein Zeichen, sie solle einen eingießen, was sich als Fehler herausstellte, weil sie die Flaschen im Regal anstarrte und jedes Etikett einzeln studierte.
»Da!« Ich deutete aufs andere Ende der Bar.
»Ach ja. Richtig.« Kurz darauf reichte Rose Rachel das Glas, und nicht lange danach ging ich in die Hocke, schaute mir ihr Gesicht an und hielt sie für so weit wieder gesund, dass sie uns erzählen konnte, was zum Teufel da eben los gewesen war.
»Es laugt mich aus.« Sie schüttelte sich, als wäre ihr das peinlich. »Meiner Mutter ist das nie passiert. Die hat jeden Morgen ins Spülwasser geschaut. Manchmal hat es ihr gezeigt, was uns noch am gleichen Tag bevorstand, und manchmal das, was Jahre in der Zukunft lag.« Sie zeigte mit dem Finger auf mich. »Sie hat zwar nie etwas in der Richtung gesagt, aber ich glaube, sie hat gewusst, dass Alice sterben würde.«
»Wirklich? Wieso?«
»Ohne konkreten Grund. Mehr aus einem Gefühl heraus. Sie behandelte Alice immer so, als wäre ihre Zeit begrenzt.« Sie schüttelte den Kopf, als wolle sie ihre Gedanken neu ordnen. »Wahrscheinlich habe ich mir das bloß eingebildet. Allerdings weiß ich hundertprozentig, dass Mom mindestens ein Mal etwas Rätselhaftes über Alice erfahren hat.«
»Und woher weißt du das so genau?« Ich lebte jetzt ja auch schon eine Weile in Alice, aber sie war bereits tot gewesen, als ich in ihren Körper geschlüpft war. Deshalb konnte ich nicht behaupten, ich wüsste viel über sie. Was ich wusste, hatte ich von Freunden, aus ihrer Post und dem Medizinschränkchen erfahren.
»Das da ...« Rachel deutete auf meine linke Brust. »... hat Alice wegen Mom bekommen.«
»Wie bitte?«
»Nicht den Busen. Das Tattoo.«
»Wirklich?« Alice hatte sich einen kleinen Dolch auf die Brust tätowieren lassen, über den ich mich von Anfang an gewundert hatte. »Warum? Was hat sie denn gesehen?«
»Keine Ahnung. Aber Alice war damals ungefähr dreizehn. Mom und ich haben abgespült. Plötzlich sieht sie was, lässt das ganze dreckige Geschirr liegen und stehen, stürmt in Alice’ Schlafzimmer und schleppt sie auf der Stelle in ein Tattoostudio.«
»Wow«, sagte Rose.
»Ja, allerdings. Ich selbst konnte Tattoos nie ausstehen, aber ich weiß noch, dass ich Mom angebettelt habe, weil ich auch eins wollte. Ich habe das damals für cool
Weitere Kostenlose Bücher