Blood Magic - Weiß wie Mondlicht, rot wie Blut - Gratton, T: Blood Magic - Weiß wie Mondlicht, rot wie Blut - Blood Magic # 1
ich mir selbst schuldig?
Sag mir Bescheid, wenn du weißt, wer du sein willst.
Ich musste mich entscheiden.
Als der Morgen graute, war ich schon angezogen und zum Aufbruch bereit. Ich putzte das Badezimmer, bis mir die Schultern wehtaten und mir vom Geruch der Scheuermilch schwindelig wurde. Obwohl ich die Hand verbunden hatte und feste Gummihandschuhe trug, tat die Wunde weh. Als das Badezimmer in frischem Glanz erstrahlte, kochte ich einen Eintopf aus sämtlichen Gemüsesorten, die von der Beerdigung übrig waren. Ich putzte die Mikrowelle und räumte den Kühlschrank auf, alles Aufgaben, die Grandma Judy am Putztag für nicht so wichtig gehalten hatte. In meiner Stimmung gab es jedoch nichts, was die Mühe nicht wert gewesen wäre.
Judy fuhr um zehn zum Yoga mit Mrs Margaret. Anschließend wollten sie Donuts essen. Sie versuchte kurz, mich zu überreden mitzukommen, setzte mich aber nicht unter Druck. Ich stellte mich ihr jedoch in den Weg, als sie ihren lachs-türkisfarbenen Sonntagshut über ihren Zöpfen feststeckte. Als ich sie umarmte, tätschelte sie mir zartfühlend den Rücken. »Zerquetsch nicht meinen Hut, Liebes.«
»’tschuldigung«, sagte ich und ließ sie los.
Judy strich mir über die Wange. »Ich bin nicht lange weg. Pass auf dich auf. Wir schaffen das schon.«
Als sie in ihren schäbigen kleinen Käfer stieg und davonsauste, wünschte ich, ich hätte auch so viel Vertrauen.
Es dauerte nicht lange, da hatte ich zur Stärkung eins von Reeses Sweatshirts angezogen, mir die Kette mit den Ringen umgehängt und hielt mich am Türrahmen des Arbeitszimmers fest, um zu überlegen, wo ich mit der Suche nach dem Diakon beginnen sollte.
Lange starrte ich auf den Holzboden, weil ich mich nicht entscheiden konnte.
Ich atmete schneller. Vielleicht klappte es mit Musik ja besser.
Zehn Minuten später hatte ich den CD-Player meines Bruders angeschlossen und neben die Tür auf den Boden gestellt. Die sanften Gitarrenakkorde der leisen Musik erinnerten mich an die steten Umdrehungen von Autorädern.
Im Juli hatten wir einen professionellen Reinigungsdienst aus Cape Girardeau mit der Beseitigung der Blutflecken beauftragt. Judy hatte das veranlasst, weil Reese sich geweigert hatte, ihren Zuschuss zu den Beerdigungskosten anzunehmen. Wochenlang hatte das Haus damals nach Chemie gestunken. Mir war es egal gewesen, aber Reese hatte gestänkert, sein Essen würde nach Wasserstoffperoxid schmecken. Er hatte sogar damit gedroht, Räucherstäbchen zu kaufen oder überall Whiskey draufzuschütten. Ich weiß noch, wie ich mir vorgestellt habe, das Haus würde in die Luft fliegen. Judy hatte stattdessen richtig viele Blumen gekauft und im Flur aufgestellt – Rosen, Pfingstrosen und Nelken, alles Blumen mit lebhaftem, süßlichem Duft als Gegenmittel zur Chemie.
Mittlerweile roch es im Zimmer der Tragödie nach aufgewirbeltem Staub und alten Büchern.
Es war ein totes Zimmer mit herausgerissenen Eingeweiden. Schuld war dieselbe Person, die meine ganze Familie ausgelöscht hatte.
Als ich so in der Mitte stand, fiel das Gewicht all der Leere auf meine Schultern. Die Musik war schön, aber dahinter war es still im Haus.
Ich war allein.
»Aufhören«, ermahnte ich mich selbst. Meine Stimme war laut im Vergleich zur Musik. Ich drehte meine verletzte Hand um und berührte sanft den Schnitt. Die Wunde war rot und pochte. Wer war ich? Silla Kennicot, eine irre, ausgelutschte Ritzerin? Die sich vor ihrem eigenen Blut fürchtete, ständig heulte und immer allein war? Oder war ich Silla Kennicot, die
Magierin? Eine starke Freundin, die ihre Kraft unter Kontrolle hatte? Eigentlich drängte sich die Entscheidung geradezu auf, aber der erste Schritt fühlte sich an, als müsste ich über einen brennenden Abgrund springen.
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Nicholas
Mein Handy klingelte um halb zwölf. Ich war erst seit einer Stunde wach. »Hallo?« Ich hatte nicht aufs Display geguckt und war deshalb total überrascht, als Silla »Nick« sagte.
Ich hatte eigentlich erwartet, dass sie eine Weile keine Lust haben würde, mit mir zu reden, nach dem, was am Abend passiert war. Und ich wusste gar nicht genau, ob mir selbst nach Reden war. Aber es reichte aus, ihre Stimme zu hören. Schon saß ich aufrechter an meinem Computer und schaute durchs Fenster zum Friedhof in Richtung ihres Hauses. Ich musste ihr das mit dem Waschbären erzählen.
»Bist du noch da?«
»Äh, ja.« Ich räusperte mich.
»Ich bin im Arbeitszimmer meines Vaters und suche
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