Blood Magic - Weiß wie Mondlicht, rot wie Blut - Gratton, T: Blood Magic - Weiß wie Mondlicht, rot wie Blut - Blood Magic # 1
und zog den Korken heraus. Nachdem
ich den Federkiel hineingetunkt hatte, zeichnete ich damit einen Kreis in meine linke Handfläche. Ich drückte nicht so hart zu, dass er in die Hand einschnitt. Noch nicht.
Dieses Spiel hatte ich mit meiner Mom zigmal gespielt, als ich noch klein war. Sie zeichnete mit dem Wasser einen Kreis in meine Hand, schnitt sich in den Finger und malte mit Blut einen siebenzackigen Stern in den Kreis. Es kitzelte, und ich musste immer lachen, zog aber nie meine Hand weg. Mom küsste dann jeden Finger einzeln und sagte mir, ich wäre tapfer. Dann pikte sie mich rasch in die Hand. Ein Tropfen meines Blutes mischte sich mit ihrem und mir war rundum warm und kribbelig. Sie tunkte ihre Finger in das Blut und verzierte jedes Papierchen mit einem blutigen Fingerabdruck. »Papierchen, fliegt und tanzt, runter und rauf, passt auf mich auf«, flüsterten wir gemeinsam in einem ewigen Kreislauf.
Genau dasselbe machte ich jetzt, Jahre später, auf dem Boden meiner Mansarde. Das Wasser tropfte und verdünnte das Blut, bis mein Stern blasse rosafarbene Ränder bekam. Es kribbelte noch, aber ich musste nicht lachen. Das Lachen blieb mir wie ein spitzer Stein in der Kehle stecken. Ich verpasste all meinen abgerissenen Papierformen einen Fingerabdruck und sagte: »Papierchen, fliegt und tanzt, runter und rauf, passt auf mich auf.«
Einen Augenblick lang war es ganz schlimm. Die Erinnerungen an Mom glichen gebrochenen Knochen, die durch meine Haut stachen. Sie hatte mich getäuscht, ausgetrickst und dafür gesorgt, dass ich an eine Magie glaubte, die es gar nicht gab.
Doch dann dachte ich an ihr ansteckendes Lächeln, und die Papierformen fingen auf dem Teppichboden an zu zittern, als zauste sie eine leichte Brise. Sie bebten stärker und eines hüpfte schon nach oben, um mit einem Bein in der Luft zu tanzen.
Erschrocken krabbelte ich rückwärts. Als meine Handfläche
über den Boden schmierte, war der Zauber gebrochen und das Papierchen flatterte zu Boden.
Ich stopfte das Weihwasser wieder in die Truhe, warf den Deckel zu und schob das Ganze unters Bett zurück. Als ich die Papierschnipsel aufsammelte, bemühte ich mich, nicht daran zu denken, wie ich als kleiner Junge eingeschlafen war, während zahllose bunte Papiersterne über meinem Bett an der Decke tanzten. Sie hatten mich besser getröstet als ein Nachtlicht, ein Teddybär oder ein Power Ranger. Denn sie wurden nur von der Liebe meiner Mutter dort oben gehalten. Solange die Sterne dort hingen, war ihr Blut mit meinem verbunden, und nichts konnte mir etwas anhaben.
Doch jetzt zerknüllte ich meinen abgebrochenen Papierzauber in der Faust und warf die Fetzen in die Plastiktüte, in die ich meinen Müll entsorgte.
Denn ich war erst acht gewesen, als der erste strahlend gelbe Stern langsam auf den Teppichboden geglitten war.
8
27. März 1904
So habe ich herausgefunden, was es mit der Magie auf sich hat.
Ich war bereits neun Monate bei ihm, und bisher hatte er von mir nur verlangt, dass ich las und las und las und schrieb und schrieb und schrieb. Ich schrieb seitenweise aus Mrs Radcliffes Romanzen und Mr Twains törichtem Buch ab; nachts las Philip dann Whitman oder Poe vor, und ich schrieb auf, was ich während des Vorlesens verstand, bis ich so schnell mitschrieb, wie er sprach. Reime waren mir am liebsten, weil man vorhersehen konnte, wohin der Wortfluss führen würde.
Philips Bibliothek ist schmal und eng, aber die Bücher stapeln sich dermaßen, dass von ihrem Gewicht noch das Haus einstürzen wird. Eine ganze Wand ist diesen knisternden alten Büchern vorbehalten, in denen es Bilder von toten Menschen und Körperteilen gibt! Auf einem Regal steht eine Gesamtausgabe von Shakespeare, aber Philip behauptet, dafür wäre ich nicht gebildet genug. Deshalb habe ich mir ein Stück mit dem Titel ›Der Sturm‹ gegriffen und einen Monolog von einem Wesen namens Ariel so oft gelesen, immer wieder, bis ich ihn auswendig konnte. Nach dem Abendessen stand ich auf und trug es Philip vor. Er klatschte langsam in die Hände und nannte mich seinen kleinen Luftgeist. Er machte ein trauriges Gesicht und fragte, ob ich verstanden hätte, was Ariel da sagte.
»Er hat einen Sturm gemacht und Männer getötet, alles aus Liebe zu Prospero!«, antwortete ich.
»Aus Liebe zu Prospero«, sagte er und lachte leise in sich hinein. »Kleiner Luftgeist, willst du morgen mitkommen und mir bei der Arbeit helfen?«
Selbstverständlich war ich
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